Plattenspieler Frontal

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Wohnen in der DDR

Besetzen und illegales Wohnen in der DDR

Wer in der DDR eine Wohnung wollte, musste lange warten – oder sich anderweitig zu helfen wissen. Leere Altbauwohnungen wurden so wieder bewohnt. Das war auch eine Reaktion auf die missratene Wohnungspolitik. Erster Teil einer Serie über stilles Besetzen und illegales Wohnen in der DDR.

von Dietmar Wolf
Oktober 2022

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In der DDR war Wohnraum sehr bezahlbar – aber Mangelware. Während die Staatsführung alle Kraft in der Schaffung riesiger Neubaugebiete am Rande von Berlin steckte, vergammelten die Innenstadtbezirke. Da konnten auch gelegentliche Sanierungsprojekte nicht hinwegtäuschen. Die Maxime der DDR-Wohnungspolitik war eigentlich die „Lösung der Wohnungsfrage“, angestrebt über gigantische Neubauprogramme.

Bereits in den 1960er-Jahren bestand der Plan, den Bezirk Prenzlauer Berg oder zumindest dessen südlichen Teil abzureißen, um Plattenbauten zu errichten. Doch schon in den 1970ern wurde dies wegen des akuten Wohnungsmangels auf Eis gelegt. Die Stadtplanungsbüros waren nun angewiesen, schnelle Lösungen zu finden.

 

Auf alt gemacht Platte am Alex

Kurz darauf lief das erste Pilotprojekt rund um den Arnimplatz an. In dieser Zeit sank dort durch Entkernungen und Vergrößerung des Grundrisses die Zahl der Wohnungen um 15 Prozent. Weil aber kein neuer Wohnraum geschaffen wurde und für die Bewohner zudem Ausweichwohnungen freigehalten werden mussten, war das Projekt für die DDR-Planer ein Misserfolg.

Komplexe Modernisierungen wie am Arnim- oder Arkonaplatz in Mitte blieben Einzelmaßnahmen. Für den Großteil des Altbaubestandes unterblieb die überfällige Sanierung, denn die staatlichen Mittel reichten nicht aus. Zwar wurden auch in den 1980er-Jahren Altbauten saniert, doch konnte der entstandene Rückstand bis zur Wende nicht mehr aufgeholt werden.

Stattdessen setzte man in der Innenstadt auf Entmietung, Abriss und kostengünstigen Platten-Beton-Neubau. Stumme Zeugen dieser Politik kann man heute noch am Alexanderplatz rund um die Nikolaikirche begutachten. Dieser Bereich war durch den Zweiten Weltkrieg stark zerstört worden, die Kirche sogar fast vollständig.

Während die Nikolaikirche für die 750-Jahr-Feier Berlins zwischen 1980 und 1983 aufwendig und nach historischen Plänen wiederaufgebaut wurde, schuf man drumherum ein zusammengewürfeltes, frei erfundenes Ensemble mit einigen historischen Bauten aus verschiedenen Epochen. Dazu wurden hauptsächlich Beton-Plattenbauten mit pseudohistorischen Fassaden errichtet. Normalen Menschen ohne höhere Funktion, entsprechende Beziehungen oder ausreichend Geld, um damit zu schmieren, blieben die dadurch neu gebauten 800 Wohnungen blieben allerdings verwehrt.

 

Abrissbirne in Friedrichshain

Ein ganz anderes und extremeres Beispiel dieser Form von Rekonstruktion bzw. „Sanierung mit Platte“ findet sich in Friedrichshain. In der Frankfurter Allee, zwischen dem gleichnamigen S-Bahnhof, der Jessner- bis zur Colbestraße, wurden in den 1980er-Jahren mehrere komplette Straßenzüge abgerissen und mit Betonplatten-Häusern bebaut.

Die Wirren der Wende 1989 und das „Jahr der Anarchie“ 1990 verhinderten, dass dieses Schicksal auch den Kiezen der Mainzer-, Kreuziger- und Niederbarnimstraße ereilte. Großangelegte Entmietungen hatten auch hier schon stattgefunden. Doch verhinderten die massenhaften Besetzungen im Frühjahr und Sommer 1990 alle weiteren Entmietungs-, Abriss- und Spekulationspläne.

Ein wesentlicher Grund für den Leerstand in der Innenstadt war, dass es immer mehr Menschen in die neu geschaffenen und stetig anwachsenden Betonwüsten von Marzahn, Hellersdorf und Heinersdorf zog. Anstatt die leerstehenden Wohnungen unkompliziert den vielen, oftmals sehr jungen Menschen, die ohne Chance auf eine eigene Wohnung waren, zur Verfügung zu stellen, verschwanden ganze Straßenzüge. Sie galten als nicht mehr vermietbar und standen auf zukünftigen Abrissplänen – oder sie waren Bestandteil von Schiebereien innerhalb der Kommunalen Wohnungsverwaltungen (KWV)[1]. Das alles gepaart mit Schlamperei, Misswirtschaft und Bürokratie in den Wohnungsverwaltungen.

Zum Schluss, also spätestens ab Sommer 1989, kam zudem die Massenflucht in den Westen dazu. Morgens wurde die Wohnung verschlossen, als würde man normal zur Arbeit gehen oder in den Urlaub fahren. Doch die ehemaligen Bewohner:innen setzten sich zu Tausenden in die BRD-Botschaften in den sozialistischen Bruderländern ab oder versuchten, über die grüne Grenze in den Westen zu kommen.

Die zurückgelassenen Wohnungen blieben dann über Wochen und Monate leer, oftmals voll möbliert. Die Behörden hatten keinen Plan, dass ihre Mieter:innen schon längst weg waren. Dass schon länger keine Miete mehr gezahlt wurde, fiel wegen der geringen Beträge kaum auf. Oder es dauerte eine ganze Weile, bis jemand auf die Idee kam, nachzuprüfen, warum kein Geld mehr gezahlt wurde. Falls die „Flüchtlinge“ nicht anderen Menschen (Freunden, Verwandten oder  Bekannten) ihre Wohnung überließen, war diese dem offiziellen Wohnungsmarkt entzogen.

 

Still und leise zur eigenen Wohnung

Schon in den 70ern und erst recht in den 80ern wurde in der ganzen DDR „Schwarzes Wohnen“ zum probaten Mittel, um an Wohnraum zu gelangen. Dann hieß es meistens, „sich still zu verhalten“, damit die Besetzung nicht aufflog. Wenn das dann doch passierte, lag es meist daran, dass „wachsame Mitbürger“ :innen denunziert hatten.

Gelegentlich kam es auch zu einer Stichprobenkontrolle der Hausbewohner:innen durch den  Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei (ABV) bzw. KWV-Mitarbeiter:innen. Sie nutzten dafür das sogenannte Hausbuch, in dem alle Bewohner:innen verzeichnet waren. Dieses Hausbuch wurde von einem Bewohner:innen der jeweiligen Hausgemeinschaft aufbewahrt und verwaltet.

Um Kontrollen, einem Abgleich mit dem Hausbuch und so einem Auffliegen zu entgehen, vermieden Wohnungsbesetzer:innen oftmals Namensschilder an Klingeln und Haustüren. Das aber war für Kontrolleur:innen wiederum ein Indiz dafür, dass Wohnungen „illegal“ bewohnt sein könnten. War eine Wohnung erst einmal in den Fokus der Kontrolleur:innen geraten, folgte unweigerlich eine verstärkte Überwachung und nicht selten die Entdeckung.

War man als Besetzer:in von Wohnraum erst einmal aufgeflogen, hing das weitere Verfahren von oftmals korrupten Sachbearbeiter:innen der KWV ab. War die Wohnung zum Beispiel Teil der Schieberpläne der zuständigen Sachbearbeiter:innen, war ein Rausschmiss durch die Polizei und eine hohe Geldstrafe unausweichlich. Gab es keine Pläne, so konnte die Besetzer:innen hoffen, mit der Geldstrafe davonzukommen und in der Wohnung bleiben zu dürfen.

Besonders in den letzten Jahren der DDR waren KWV und Polizei zunehmend überfordert, um die „stillen Besetzungen“ zu bemerken. Besonders die Polizei hatte ganz andere Aufgaben am Hals und mit Beginn und der erwähnten Massenflucht von DDR-Bürger:innen Richtung Westen verlor man gänzlich den Überblick darüber, wer tatsächlich in welchen Wohnungen wohnte.

 

Wohnung für Wohnung besetzt

In zum Ende der DDR bereits teilweise bedenklich maroden und heruntergewirtschafteten Berliner Altbaustadtbezirken wie Prenzlauer Berg und Friedrichshain führten stille Besatzungen nicht selten dazu, dass ganze Häuser „schwarz“ bezogen waren.

Dazu einige Beispiele: Die Dunckerstr. 21 war ab Anfang der 80er-Jahre Wohnung für Wohnung systematisch besetzt worden. Hier lebten viele Oppositionelle, weswegen das Haus schnell in den Fokus der Staatssicherheit geriet. Mitte der 80er wurde das Haus entmietet und saniert. Die Bewohner wurden in verschiedene andere Häuser umgesetzt und erhielten Mietverträge.

In der Lychener Str. 61 waren ab 1982 ebenfalls fast alle Wohnungen besetzt. Auch dieses Haus galt als ein Hort der Opposition. 1988 wurde es geräumt. Aber schon kurz danach wurde es von anderen Menschen wieder besetzt.

In der Fehrbelliner Str. 7 begannen die stillen Besetzungen ab 1982, rund fünf Jahre später war es komplett besetzt. Hier wohnten neben Oppositionellen auch Künstler.

In der Prenzlauer Allee 203/204 wurden seit dem Frühjahr 1989 die Wohnungen des  Hinterhauses „schwarz“ bezogen. Im Januar 1990 erklärten sich die Besetzer:innen dann als Gruppe und das Haus als besetzt.

 

Fortsetzung: Teil 2

 

[1] Kommunale Wohnungsverwaltungen (KWV) hießen in der DDR meist in Rechtsform eines Volkseigenen Betriebs (VEB) gebildete Unternehmen, welche in der Bewirtschaftung und Verwaltung städtischer Immobilien tätig waren.

 


Der Text war in einer anderen Fassung bereits 2018 Bestandteil des Sammelbandes Mietenkämpfe Vom Kaiserreich bis heute – Das Beispiel Berlin.

30 Jahre AfA-Ost Buch

Mieterkämpfe
Vom Kaiserreich bis heute – Das Beispiel Berlin
Philipp Mattern (Hg.)
212 Seiten, 30 Fotos
Paperback, 10,5 x 14,8 cm
ISBN 978-3-86505-749-5
Erschienen im September 2018
€ 8,- [D]

 

 

 

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Dietmar Wolf ist in Berlin/DDR geboren und aufgewachsen. Er war aktiver DDR-Oppositioneller, Hausbesetzer, Antifa, Antimilitarist und betätigt sich seit mehr als 30 Jahren als Freizeitautor und Feierabendjournalist unter anderem in der Redaktion des Ostjournals. Er lebt und arbeitet in Berlin/BRD.

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