Familienbrüche Kapitalismus, Bilderreihe: Schnittstellen, Berlin 2004, Moritz Jost

© Hannah Uhlmann

Wie bewegend Solidarität sein kann.

Queer, Antifa, Ostdeutsch.

Spätestens mit dem Sommer 2024 wurde auch der breiten Öffentlichkeit deutlich: Queerfeindlichkeit ist ein zentrales Spielfeld diverser rechter Akteur*innen – nicht nur, aber besonders in Ostdeutschland. Was auch deutlich wurde: auch im sogenannten “Hinterland” gibt es sie – die Queers, die Antifaschist*innen und ihre (Verstrickungen in) ostdeutschen Realitäten. Es gibt zahlreiche Zusammenschlüsse, die sich solidarisch gegen Angriffe auf ein emanzipatorisches, demokratisches Miteinander stellen und neue Bewegungen anstoßen. Im Fokus steht dabei eine Bewegung, in der ostdeutsche queere und antifaschistische Initiativen gemeinsam agieren.

von Jennifer Anlauf
Juli 2025

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Von den Anfängen der Verbindung zwischen Antifa und Queer: Solidarität als Bewegung.

Bereits in den 1990er und 2000er Jahren haben einige Initiativen feministische, queere und antifaschistische Perspektiven sichtbar zusammengedacht. Wichtige Impulse setz(t)en dabei u.a. der trans*geniale CSD in Berlin, die Rosa Antifa in Wien, die Gruppe “Wi(e)der die Natur” in Erfurt aber auch F_Antifa-Gruppen in Leipzig oder Brandenburg, die e*vibes in Dresden oder auch das “Bündnis für einen emanzipatorischen Block auf dem Leipziger CSD”. In allen war es ein Anliegen, (queer-)feministische & antifaschistische Perspektiven als miteinander verbundene Grundlage der eigenen politischen Praxis zu verstehen. Ihre Arbeit trug dazu bei, liberale bis regressive Positionen in queeren Kontexten zu kritisieren und andererseits den Sexismus und die Unsichtbarkeit bzw. Abwesenheit von Queers in antifaschistischen Räumen zu thematisieren und zu bearbeiten. Diese Räume waren stark von Mackertum und cis Männern geprägt, was oft zu praktischen Ausschlüssen und nicht ausreichenden Analysen führte.

Die Interventionen, die eine (queer-)feministische Kritik in den antifaschistischen Aktivismus integrierten statt Themenbereiche isoliert zu diskutieren, ist die Grundlage für eine Bewegung, die sich seit Anfang der 2020er herauszubilden scheint. Dabei sollte nicht unterschlagen werden, dass – insbesondere außerhalb der Großstädte – die äußeren Umstände für Queers & Antifas eine praktische Notwendigkeit bedeuten, eine gemeinsame Praxis, wenn nicht gar einen verbundenen Blick auf die Verhältnisse, zu (ent)werfen. Denn die Auswirkungen eines zunehmend antifeministischen, queerfeindlichen und anderweitig regressiven Diskurs in der Mehrheitsgesellschaft sowie die parallel voranschreitende Re-Organisierung rechter Strukturen und die Konsequenzen rechter Gewalt spielen dort, wo es nur begrenzte Infrastruktur für soziokulturellen Austausch gibt, eine bedeutende Rolle im Alltag.

Rechte Gewalt & queere Sichtbarkeit im ländlichen Raum.

Im April 2018 wurde Christopher W. im sächsischen Aue von drei rechtsextremen Männern aus queerfeindlichen Motiven gefoltert und auf brutale Art umgebracht. Im darauffolgenden Jahr, 2019, fanden in Sachsen insgesamt vier CSDs statt – aber keiner in Aue oder näherer Umgebung. Allerdings machen anlässlich des Todestags von Christopher W. mehrere Antifaschist*innen in den Folgejahren mit unterschiedlichen Aktionen auf die anhaltende rechte, queerfeindliche Gewalt aufmerksam. Als Todesopfer rechter Gewalt wird Christopher W. bis heute nur von zivilgesellschaftlichen Initiativen anerkannt. 1

Zwei Jahre später, im Februar 2020, wurde Mario K. im thüringischen Altenburg brutal ermordet. Für die Beratungsstelle für Betroffener rechter Gewalt “ezra” sprechen “mehrere Hinweise auf eine rechte Einstellung der Täter und die Art der Tatbegehung (…) ganz klar für ein rechtes Tatmotiv“. Dabei fokussierten sie sich in ihrer Einordnung vor allem auf die queerfeindlichen Zuschreibungen, welche die Täter gegenüber Mario K. äußerten. Im darauffolgenden Jahr fand der allererste CSD in Altenburg statt. Die Organisator*innen sahen sich über Monate mit Beleidigungen, Einschüchterungsversuchen und Morddrohungen konfrontiert. Das Front-Transparent, das im Juli 2021 die CSD-Demonstration anführte, gab darauf eine klare Antwort: “gay pride not white pride”. Während zur selben Zeit die Repressionen gegen Antifaschist*innen insbesondere im Kontext des sogenannten Antifa-Ost-Verfahren in Thüringen und Sachsen zunahmen, begleiteten einzelne Antifaschist*innen den CSD solidarisch und überregional. Das hat zusätzlich zum empowernden Effekt der Queers unter ihnen auch einen Sicherheits-relevanten Vorteil für die Pride: ihre Blicke richteten sie auf pöbelnde Figuren am Rand, die ihnen teilweise in rechten Szene-Codes den Raum streitig machen wollten. Gleichzeitig bilden sie punktuell einen Puffer zwischen eben diesen und den Teilnehmer*innen der Demonstration.

Queerlemma & neue Allianzen in Dresden.

Die Saison 2021 ging weiter, mehr und mehr CSDs fanden statt. Parallel dazu nahmen rechte Diskurse und Mobilisierungen zu, flankieren bspw. die CSDs in Pirna oder Wurzen mit sichtbarem Hass, Störaktionen und Gewalt-Androhungen. Gleichzeitig entwickelten sich eine neue Formen der queer-antifaschistischen Praxis. In Dresden wurde in öffentlichen Veranstaltungen das “Queerlemma” diskutiert. Der Ansatz dahinter folgt der Theorie des “Trilemmas der Inklusion” der Wissenschaftlerin Mai-Anh Boger und beschreibt, “dass ich, wenn ich queer bin und in Dresden lebe nur schwerlich eine Antifagruppe finden werde, die sich Queerness als Tagespolitik und Haltung verschrieben hat. Wenn ich in Dresden lebe und in einer expliziten Antifagruppe aktiv bin, bin ich wahrscheinlich nicht Queer (oder lebe das eher nicht in der Gruppe aus). Wenn ich Queer bin und in einer Antifagruppe arbeite in der ich meine Interessen und meine Identität voll ausleben kann, passiert das wahrscheinlich nicht in Dresden”. Aus diesem ‘Queerlemma’ heraus hat sich die “Queer Pride” entwickelt und noch in derselben Saison ihre Perspektive sichtbar auf die Straße getragen. Seitdem zeigt die Initiative, dass es möglich ist, eine politische Praxis zu gestalten, die eine Ausnahme von der Regel des ‘Queerlemmas’ sein kann. Die Gruppe zeigt, wie queere Themen selbstverständlich als Teil des Kampfes gegen den Faschismus be- und solidarisch aufgegriffen werden.

Pride-Saisons: Angriffe, Solidarität, Widerstand.

Eine Saison später, im Jahr 2022, fand in Stollberg der allererste CSD der Region statt, in der auch Aue liegt. Über die Pride-Saison hinweg kam es zu Störungen und Angriffen durch Gruppen junger Rechtsradikaler, wie bspw. in Döbeln oder Gotha. Im Folgejahr, 2023, kam es zu ähnlichen Szenen und sogar am Rand des großen Berliner CSD zu einem Angriffsversuch durch Mitglieder des III. Wegs bzw. ihrer Jugendorganisation. Am Ende der Saison war der Horizont vieler Aktivist*innen bestimmt von den anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen und den antizipierten Erfolgen der AfD. Die Suche nach Formen der solidarischen Praxis aus den größeren Städten in die Regionen kam in Bewegung. Zu den bereits etablierten Soli-Strukturen wie “Polylux”, bildete sich das Netzwerk “Solidarisches Bündnis gegen Rechts”. Im Anschluss an das “Queerlemma” entstand die Initative “Pride Soli Ride”, die Anreisen zu CSDs in genau den Regionen organisierte, in denen Landtagswahlen anstanden und queeres Leben sowie antifaschistisches Engagement zunehmend von rechts bedroht wurde. Die Initiative entwickelte sich zu einer Struktur, die mit queer-antifaschistisch-ostdeutschen Bezugspunkten, aus der Großstadt das Engagement in der Provinz unterstützt.

Im Sommer 2024 gab es insgesamt 23 Prides in Sachsen. Sie fanden in einem Klima statt, in dem die AfD ihre antifeministischen, queerfeindlichen Rhetoriken verstärkt mit einer ostdeutschen Identität verknüpfte und mit ihrer populistischen Provo-Tiktok-Strategie eine junge Generation verloren wirkender, Gewalt-affiner Männer mit rechtem Weltbild aktivierte. 2 In den Versammlungen, die sie als “Gegenprotest” bezeichnen, ist neben militanter Männlichkeit-Performance, Instrumentalisierung des Thema Kinderschutz allzu oft “Ost-Ost-Ostdeutschland” als eindimensionaler Ruf zu vernehmen. Die mediale Aufmerksamkeit wurde punktuell auf ostdeutsche Realitäten gelenkt – wenngleich der Blick selten auf das bunte Hinterland traf. Ein Hinterland, in dem das “Queerlemma” aus Queer-Antifa-Ostdeutsch teilweise unweigerlich gelebte Lebensrealität ist.3 Ein Beispiel dafür war der erste CSD in Freiberg, der mit seinem Motto “CSD statt AFD” ein deutliches Zeichen setzte. Die Organisation wurde stark von antifaschistischen Initiativen getragen – explizit oder exklusiv queere Strukturen sind in der Stadt quasi nicht vorhanden. Redebeiträge auf der Demonstration bekräftigten die Solidarität zwischen Queers & Antifas, zwischen Stadt & Land in den ostdeutschen Regionen: “Es stehen schwere Zeiten an, aber für uns ist durch eure Kämpfe in den Regionen klar: wir lassen euch nicht allein! Wir geben nicht auf! Jetzt erst recht!”.

Die mediale Aufmerksamkeit für den CSD Bautzen oder vielmehr für die 700 rechten “Gegendemonstrant*innen” führte zu einem generellen Anstieg der Aufmerksamkeit und die wiederum zu einem Mehr an Solidarität und Vernetzung. Stimmen aus Bautzen und Umgebung beschrieben es als Hoffnungsschimmer, dass sich Menschen in anderen Regionen für ihre Leben und ihre Kämpfe interessieren. Die Perspektiven queerer, antifaschistischer, ostdeutscher Personen finden sich zunehmend auf diversen Podien wieder, ihre Positionen und Forderungen finden Gehör. Dazu trägt auch eine selbstorganisierte Vernetzung bei, die in Form einer gemeinsamen Erklärung unterschiedlicher ostdeutscher CSDs & Prides erschien. Die Aktivist*innen halten an den CSDs als “wichtigen Orten der Sichtbarkeit fest – denn gerade hier ist es entscheidend, dass queeres Leben und demokratische Werte sichtbar bleiben. Wir werden weiterhin für Gleichberechtigung kämpfen und ein Ende jeder Diskriminierung einfordern. Wir stehen zusammen für die unteilbaren Menschenrechte”. Ihre Rufe in die (westdeutschen) Städte sind klar und deutlich: “Kommt zu den CSDs in den kleineren Städten Ostdeutschlands! Helft mit eurer Präsenz, sichere Räume zu schaffen und ein antifaschistisches Zeichen gegen Hass und Ausgrenzung zu setzen”.

Ausblick: Was die Bewegung für andere Regionen bedeuten kann.

Die Entwicklung dieser Bewegung ist etwas, wovon andere lernen können – auch in den westdeutschen Regionen. Die Zustimmung zur AfD in Bayern und Baden-Württemberg bei der Bundestagswahl erinnert an das Niveau, das wenige Jahre zuvor in Sachsen oder Thüringen erreicht wurde. Auch CSDs im Schwarzwald, im Rheinland oder Norddeutschland wurden bereits von rechten Akteur*innen bedroht. In den jeweiligen Kreistagen Ostdeutschlands zeigt sich seit Jahren, welche Auswirkungen die Präsenz der AfD konkret hat: als ob es die Vokabel “Brandmauer” nie gegeben hätte, wird allzu oft gemeinsam mit der CDU die finanzielle Grundlage für zivilgesellschaftliches Engagement, Demokratie-Förderung und Jugendarbeit angegriffen. Die Haushaltskürzungen erschweren ein Agieren gegen regressive Kräfte zunehmend. Die queer-antifaschistische Bewegung in Ostdeutschland erprobt wie konkrete Unterstützung aussehen und über einen Tag im Jahr hinausgehen kann. Diese Bewegung vernetzt sich, gestaltet ihre Sichtbarkeit selbstbestimmt und stellt solidarische Forderungen an die Gesellschaft im Allgemeinen, aber auch die Stadt-Gesellschaft(en) im Besonderen. Sie gestaltet das bunte Hinterland und ist dabei nicht allein. Ihre Brücken untereinander halten.

 

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1 In 2019 listete das sächsische Innenministerium Christopher W. zunächst als Todesopfer rechter Gewalt in der Statistik “politisch motivierter Gewalt-rechts” (PMK-rechts). Obwohl Christopher W. bereits vor der Tat immer wieder queerfeindlichen Beleidigungen, Morddrohungen und Körperverletzungen durch die Täter zum Opfer fiel, urteilte das Landgericht Chemnitz 2019, dass ein niederes Tatmotiv ausgeschlossen sei. Die Täter kamen mit einem Totschlag-Urteil davon. In das Urteil floß ein psychiatrisches Gutachten über die Täter ein. In diesem erklärte der Gutachter “ohne konkreten gerichtlichen Auftrag (…), dass die Täter ein rechtes Motiv in der Befragung nicht angegeben haben”. Aus einer kleinen Anfrage von Linken-Politikerin Juliane Nagel von März 2025 geht hervor, dass die PMK-Einstufung zurückgenommen wurde. (Amadeu-Antonio-Stiftung hier & hier)

2 Umfangreiche Analysen der konkreten rechten Entwicklungen mit Blick auf CSDs gibt es von Autor*innenkollektiv Feministische Intervention (AK Fe.In), der Queer Pride DD, CEMAS, u.a.

3 In manchen Regionen ergänzt sich das “Queerlemma” sogar noch um eine weitere Ebene, wie das sorbische, queere, antifaschistische Künstler*innen-Kollektiv “Wakuum” mit ihren ersten Aktionen zeigt, in denen sie die Herausforderungen an Intersektionen wie diesen problematisieren.

 

Jennifer Anlauf wurde 1985 in der DDR geboren und vor allem in Sachsen und Thüringen sozialisiert. Seit Mitte der Nullerjahre ist sie in diversen queeren, subkulturellen und politischen Strukturen aktiv.
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