
© Presseservice Rathenow
Punk
Anarchy in the Kazakhstan
Eine fotografische Reise durch Almatys Subkultur.
Bilder: © Presseservice Rathenow
von Hardy Krüger
Juli 2025
Kazakhstan heute präsentiert sich vor allem in seinen beiden Vorzeigestädten Astana und Turkistan als moderne orientalische Gesellschaft mit Dubai-Allüren. Doch in der stark sowjetisch geprägten alten Hauptstadt Almaty hat sich eine kleine Szene etabliert, welche wie in den 1980er Jahren der UdSSR die Subkultur als Refugium nutzt und dort von Freiheiten träumt, welche auch ihre westlichen Punk-Idole vorleben.
Das villenartige Gebäude mit dem angedeuteten deutschen Fachwerk am zentralen Abai-Prospekt in Almaty wirkt zwischen den im sowjetmodernen Stil errichteten Bauwerken etwas deplatziert. Auch der Name der darin rustikal angehauchten Lokalität: „Lenore Pub“ klingt weder nach typischer Orientromantik, noch nach sowjetischer Folklore. Denn Namensgeber des Pubs ist die Figur „Lenore“ aus Edgar Allen Poes düsterem Gedicht „Der Rabe“ bzw. dessen Dark Comedy Comic Adaption aus den 1990er Jahren.

Central Asia Death Metal massacre
Düster ging es auch an jenem Donnerstagabend im Juni zu, als zum „Central Asia Death Metal Massacre“ geladen wurde. Cenotaph aus Ankara (Türkei) waren der Headliner, Devouring Genocide aus Bishkek (Kyrgyzstan) und die Locals von Ajal aus Almaty der Support. Die recht kleine Szene – etwa 50 Menschen besuchten das Konzert – wirkte begeistert. Vor der Bühne wurden die langen Haare geschwungen und am Merch-Stand konnten die neuesten Bekennershirts mit den typischen, kaum zu entziffernden Logos der Death Metal Subkultur erworben werden.
Der Pub ist aber tatsächlich keine reine Metal-Bar. Zwei bis dreimal die Woche gibt es Konzerte mit Bands unterschiedlicher Stilrichtungen, vor allem Hardcore-Varianten, Punk und der zentralasiatischen Version von Post Punk. Auch eine feministische Girl Punk Band aus Almaty trat hier im Vormonat auf.
Die Besucher:innen kommen hauptsächlich aus Russland und Kazakhstan. Viele der Einheimischen sind vor allem junge Schüler:innen und Studierende. Sie orientieren sich westwärts, wollen demnächst auch in Europa studieren, haben bereits Sprachkurse absolviert und sprechen, was der Autor auf dem Punkkonzert nicht zu hören erwartete, vereinzelt schon gutes Deutsch.




Die russischen Konzertbesuchenden kommen vor allem aus dem Großraum Moskau. Sie sind einige von den 400.000 Russinnen und Russen, die seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine nach Kazakhstan übergesiedelt sind, um insbesondere der drohenden Rekrutierung zu entgehen. Politische Botschaften werden während der Konzerte jedoch nicht artikuliert. Seit geraumer Zeit verschärft Kazakhstan die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt russischer Staatsbürger. Ein russischer Anarchist wurde kürzlich sogar wegen der Überschreitung der genehmigten Aufenthaltsdauer zeitweilig verhaftet. Ihm drohte die Auslieferung nach Russland und dort eine lange Haftstrafe, weil sein Heimatland ihn international zur Fahndung ausgeschrieben hatte.
Dennoch gibt es in der Lenore Bar kleine symbolische Unmutsbekundungen gegen Russlands Krieg. Am Tresen sind zum Beispiel zwei Fahnen zu finden: die ukrainische und die kazakhische. Eine russische Flagge gibt es hingegen nicht.


Noise Core in der Garage
Ein weiterer Treffpunkt für Almatys subkulturelle Szene hat sich in einer ehemaligen Garage im Almaly District etabliert. Es ist ein etwas einfacher, im DIY-Stil eingerichteter Ort. An den Wänden sind Bekenntnisse zu den bekannten Punkbands, wie Exploited, Ramones oder Black Flag künstlerisch dargestellt. Auf einem markanten Betonfertigteilelement, dessen Design exakt dem der typisch sowjetischen Kaserneneinfriedungen entspricht, wurde der Slogan: „Anarchy in the KZ“ mit Stickern angebracht. „KZ“ mag Besuchende aus Deutschland ein wenig irritieren, meint hier aber tatsächlich das internationale Autokennzeichen für Kazakhstan.



In der Garage treten vor allem Punk Acts, Hardcore-Bands oder experimentell arbeitende Musizierende auf. Am letzten Samstag im Mai 2025 spielten zum Beispiel Katarakta Katorshnika aus Almaty. Die Band mit ihrer infernalen Stimme und ihrer Noisecore-Crossover Musik überzeugte vor allem durch ihre Performance. Alle Bandmitglieder hatten ihre Gesichter verhüllt und erweckten so den Eindruck eines absoluten Untergrundkonzertes. Tatsächlich ist die Garage auch eine Art Refugium. Sie wird vor allem von weltoffenen Kazakhen und Exilanten aus Russland besucht.



Hardy Krüger ist seit 2012 als freier Journalist tätig. Seine Artikel behandeln vor allem gesellschaftspolitische Themen und sind hauptsächlich in einem Onlineformat der Wochenzeitung „Die Zeit“ zu finden. Als Fotojournalist gibt er darüber hinaus sozialen Bewegungen ein Gesicht. Etliche Reiseaufenthalte und viele persönliche Kontakte haben aus ihm außerdem einen Kenner des postsowjetischen Raumes gemacht.