Fotografie: Redaktion Ostjournal, Typografie: Iliyá Fogg.
Was tun sächsische Jugendverbände gegen den Rechtsruck der Jugend?
Wir müssen hin, wo’s wehtut
In Sachsen gewinnt die AfD auch bei jungen Wählern. Unsere Autorin ist selbst Teil demokratischer Gegenbewegungen und spricht mit Vertretern von Jugendverbänden darüber, wie sich junge Menschen erreichen lassen.
von Maria Fomina
Juni 2024
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Ich sitze in Dresden-Neustadt in meinem alternativen Lieblingscafé nach meiner Arbeit bei einer Umweltschutzorganisation. Abends geht es noch zu einer Initiative, die sich gegen den Ausbau einer Straße in der Stadt einsetzt. Im Handy scrollend stoße ich auf einen Instagram-Post: „Warum sich immer mehr junge Wähler der AfD zuwenden“. Ich kenne keine jungen AfD-Wählenden persönlich, denke ich. Und schon wieder meldet sich eine ungute Vermutung, die jedoch besser als Realitätsbeobachtung zu betiteln ist – ich schwimme relativ gemütlich in meiner linken und grünen Blase herum.
Dieser Beitrag entsteht aus einer Enttäuschung heraus. In Dresden, wo ich momentan lebe, gibt es viele grüne und linke Projekte und Gruppen. Die Organisierenden und Teilnehmenden an Veranstaltungen sind jedoch oft dieselben bereits politisierten Menschen aus der Blase. Doch stimmt diese Beobachtung überhaupt, oder ist es meine subjektive Wahrnehmung? Und machen sich linke und grüne Organisationen überhaupt auf den Weg, die jungen, nach rechts driftenden Menschen abzuholen?
Gesprochen habe ich dafür mit Vertretern der parteinahen Jugendverbände von Die Linke, SPD und den Grünen in Sachsen. Die Verbände sind eigenständige Organisationen mit eigenen Kampagnen und weisen alle eine ähnliche Struktur auf: die größten Basisgruppen agieren in den Großstädten Dresden, Leipzig und Chemnitz. Aber in allen Landkreisen Sachsens gibt es mindestens eine lokale Gruppe.
Jung und rechts gewählt?
Schlüsselt man die Ergebnisse der Landtagswahlen 2019 in Sachsen nach dem Alter auf, so lagen zwei Parteien in Führung: die AfD und die Grünen mit jeweils 20 Prozent Stimmenanteil bei den 18- bis 24-Jährigen. Fünf Jahre später, Anfang Mai 2024, schlägt die Studie „Jugend in Deutschland 2024“ hohe Wellen in den Medien. Diese besagt, dass die AfD bei 14- bis 29-Jährigen mit 22 Prozent die beliebteste Partei ist. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa kommt jedoch zu einem ganz anderen Ergebnis mit nur 14 Prozent für die AfD bei 18- bis 29-Jährigen.
In den letzten Wahlumfragen zur Landtagswahl in Sachsen steht die AfD an erster Stelle. Wie genau die sächsische Jugend wählen wird ist noch unklar. Und trotzdem gibt es Indikatoren dafür, dass die AfD immer mehr junge Sympathisant:innen hat. „Was ein Problem war in den letzten Jahren, das war auf alle Fälle Corona,“ sagt mir Christoph von der Linksjugend. Dadurch, dass viele Aktivitäten erstmal eingeschlafen seien, wurden Corona-Demos für viele jungen Menschen der einzige Treffpunkt: „So sind viele Menschen in die rechte Bubble gedriftet, weil es kaum soziale Angebote gab, die nicht von rechts außen gekommen sind.“
Social Media Bubbles
Ein weiteres Phänomen, das in aller Munde ist – TikTok. Auf dieser sozialen Plattform erreicht die AfD deutlich mehr junge Menschen als alle anderen Parteien. Sieben der zehn beliebtesten deutschen Politikaccounts auf TikTok gehören der AfD, außerdem bekommen diese mit großem Abstand zu den anderen Parteien die meisten Likes. Mit ihrer Kampagne #ReclaimTikTok wollen Fridays for Future zusammen mit anderen dagegenhalten.
Meine erste Vermutung, dass die meisten Aktivitäten der Jugendverbände in den großen Städten stattfinden, stellt sich nur als halb richtig heraus. „Oft sind die Gruppen in den ländlichen Regionen kleiner, manchmal sind es vielleicht auch mal nur fünf Menschen, oder im Extremfall nur Männer,“ sagt mir Lukas von den Jusos. „Die treffen sich jetzt nicht jede Woche, aber machen kontinuierlich Arbeit“. Wenn vor Ort nicht viel los ist, dann setzen sich die jungen Menschen aus der Sächsischen Schweiz, Pirna und Kreischa in die Bahn nach Dresden und politisieren sich in den Basisgruppen. Bei der Grünen Jugend gab es in den letzten Jahren einen Mitgliederzuwachs in den ländlichen Regionen.
Auch die größeren Gruppen versuchen, viel regionaler unterwegs und sichtbarer zu sein. Die Aktivitäten sind vielfältig und können subsumiert werden unter den Begriff Raumsichtbarkeit. „Stickern klingt jetzt erstmal sehr niedrigschwellig, aber wenn du in deinen Dörfern unterwegs bist und da sind nur Fascho-Sticker, dann ist es ganz gut, wenn da auch welche von uns hängen,“ meint Lukas. Auch die Linksjugend berichtet von mehreren Aktivitäten, wie der ‚Hinterlandtour‘, wo sie Jugendclubs und Jugendzentren außerhalb der Städte besucht haben, und der Organisation von CSDs: „Lausitz, Weißwasser, Riesa, Vogtland – das sind alles Regionen, wo wir unterwegs sind“.
Dass der ländliche Raum ausblutet, ist jedoch trotzdem ein Problem. Viele junge Menschen aus den Regionen ziehen, sobald sie 18 sind, in die Großstädte, sei es zum Studium oder für eine bessere berufliche Perspektive. Damit ist es schwer, eine aktive Zivilgesellschaft dort zu halten, wo sie so dringend benötigt wird.
Und wie sieht es mit den Adressat:innen der Veranstaltungen aus? Sind es nicht immer dieselben, bereits politisierten Leute, die kommen? „Ich denke schon, dass es eine Herausforderung ist, eben aus dieser vermeintlichen linken und grünen Blase herauszuwirken,“ meint Phil von der Grünen Jugend. „Unsere Analyse ist, dass sich Leute immer mehr mit rechten Gedanken identifizieren, aufgrund eines Abgehängtsein-Gefühls, verbunden mit einer Vernachlässigung von gerechter Sozialpolitik. Wir versuchen, diese Sorgen wahrzunehmen und nicht abzusprechen.“ Phil sagt, es sei notwendig rauszukommen aus akademischen linken Studi-Kreisen und konkret an den Lebensverhältnissen junger Menschen aus unterschiedlichen Milieus anzusetzen. Um dies zu bewirken, bieten die Verbände teilweise niedrigschwellige Angebote und verschiedene Aktionsformate an, zum Beispiel Bierpong-Turniere und Spieleabende der Linksjugend, oder sie sind unterwegs auf der Straße mit Ständen und suchen so das Gespräch.
„Wir müssen mit einem offenen Herzen durch die Gesellschaft gehen, um die Menschen zu erreichen,“ so Christoph von der Linksjugend. „Wir müssen mit den Leuten ins Gespräch kommen und dürfen nicht von vornherein jedes Gespräch ablehnen. Nur so haben wir die Möglichkeit, unsere Ideen voranzubringen. In Riesa, wo ich zur Zeit lebe, diskutiere ich dann auch mit Leuten, die die AfD wählen. Und wenn sie dann zu mir sagen: ‚Jo, Christoph, ich habe mir das durchgelesen, was ihr geplant habt; eure Sache ist ja viel besser für die ganze Gesellschaft,‘ dann kann ich ruhig schlafen gehen.“
Handarbeit
Wir müssen auch dahin gehen, wo es wehtut, sagt er. Und trotzdem sind sich die drei Verbandsvertreter einig – viele junge AfD Wähler:innen werden sie wahrscheinlich nicht mehr abholen können. „Diese sind nicht unser erster Anlaufpunkt. AfD-Wähler:innen sind heterogen. Wir versuchen eher auf die zuzugehen, die frustriert sind,“ erklärt Phil von der Grünen Jugend. Lukas von den Jusos ist da deutlich radikaler: „Das stört mich, wenn ich das so im bundespolitischen Sprech höre – so dieses ‚Wir müssen die Sorgen ernst nehmen‘. Wenn ich jetzt mit der Bundesregierung total unzufrieden bin, dann gibt es da Alternativen, welche ich ankreuzen kann. Da muss ich nicht geschichtsvergessen wählen.“ Lukas verweist außerdem noch auf eine wichtige Baustelle: „Sachsen legt chronisch wenig Wert auf politische Bildung. Politische Bildung muss mehr sein als einmal in den Landtag zu fahren und einmal nach Buchenwald.“ Die sächsische Politik müsse mehr tun, damit Bildung zur Demokratie möglich ist, meint er.
Ich besuche die Lesung von Jakob Springfeld, einem in Zwickau geborenen jungen Aktivisten, der gegen den Rechtsextremismus kämpft und sich mit der Erinnerung an den NSU-Komplex beschäftigt. Als ich ich danach frage, wie wir die jungen AfD Wähler:innen abholen können, antwortet er, dass sein Fokus momentan eher darauf liegt diejenigen zusammenzubringen, die noch nicht so drauf sind. Er habe den Eindruck, in der Zeit, in der er einen AfD-Fan überzeugen kann, kein AfD-Fan mehr zu sein, könne er im besten Falle fünf Nichtwählende zur Wahl bewegen oder fünf demokratische Leute in eine Demokratieinitiative einbinden. Dies wäre notwendig, um sich nicht ständig in diesem Abwehrkampf zu verheddern.
Die Jugendverbände der Parteien bilden natürlich nur einen Bruchteil der Organisationen, die sich gegen den Rechtsruck unter jungen Menschen einsetzen. Bei der Recherche wird mir eines bewusst: Es ist notwendig, dass wir als demokratische Bewegungen wieder breiter dastehen und eigene Lösungen in den öffentlichen Raum tragen. Die Demonstrationen des Bündnisses „Wir sind die Brandmauer“ zeigen, dass sich viele Menschen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus positionieren. Laut einer Analyse des Berliner Instituts für Protest- und Bewegungsforschung ist die Protestwelle gegen Rechts zu Beginn des Jahres die größte in der Geschichte der BRD. In Sachsen finden die Demos nicht nur in Dresden oder Leipzig statt, sondern auch an kleineren Orten, und es können viele junge Menschen wahrgenommen werden. Die Hoffnung ist, auch bei meinen Gesprächspartnern, dass diese Demos ein neuer Ort demokratischer Politisierung sind und weiterhin sein werden.
Ich danke den Mitgliedern der Linksjugend Dresden, der Jusos Sachsen und der Grünen Jugend Sachsen für die Gespräche.
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Maria Fomina ist Politologin, lebt in Dresden und arbeitet an der gerechten sächsischen Energiewende. Sie bezeichnet sich als Post-Ost-Migrantin, ihre Wurzeln liegen in Osteuropa. Maria’s Lebenslauf ist leicht verwirrend mit Stationen in Köln, Berlin, Moskau und Wien.