Von der Krise zum Rechtsruck

Fotografie: Redaktion Ostjournal, Typografie: Iliyá Fogg.

Ostdeutschland

Von der Krise zum Rechtsruck

Mit dem Ende der DDR brach nicht nur ein Zeitstrahl, sondern auch eine Wirtschaft. Der Zerstörung der sozialen Sicherheit folgte der Aufstieg der Rechten. Was in Ostdeutschland nach 1990 begann, hat sich mit der AfD zu einem gesamtdeutschen Problem entwickelt. Daraus lassen sich Schlüsse ziehen.

von Stella Bugatti
Juni 2024

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Der Zerstörung der sozialen Sicherheit folgte der Aufstieg der Rechten. Was in Ostdeutschland nach 1990 begann, hat sich mit der AfD zu einem gesamtdeutschen Problem entwickelt. Daraus lassen sich Schlüsse ziehen.

Ostdeutschland – wo ist das eigentlich? Auch mehr als 30 Jahren nach der sogenannten Wiedervereinigung spielt der Osten Deutschlands eine untergeordnete Rolle. Interessant wird er zumeist, wenn es eine neue Studie über rechte Tendenzen in Deutschland gibt oder eine Landtagswahl in den „neuen“ Bundesländern ansteht.

Dann beginnt das große Rätselraten, wie es sein kann, dass die AfD so stark ist. Ist es die „Diktatursozialisierung“, die der damalige Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, den Ostdeutschen bescheinigte? Hat der Sozialismus die Hirne nachhaltig zerstört? Kann der Ossi vielleicht einfach keine Demokratie? Absurde Begründungen finden sich zuhauf, die eine relevante wird kaum genannt: die wirtschaftlichen Bedingungen.

Im Osten wie im Westen Deutschlands gibt es ein Problem mit rechten Einstellungen und faschistischen Netzwerken. Doch auf den ersten Blick scheint es, in Ostdeutschland stärker ausgeprägt und verbreiteter zu sein. Die Werte für die AfD sind hier auf Landesebene höher als im Westen, teilweise ist sie sogar stärkste Partei.

Manche Dörfer sind in der Hand von Rechten; vielerorts gibt es eine starke Präsenz rechter Akteure, die das Leben anderer Menschen gefährden. Diese Zustände verschlimmern sich stetig. Doch sind sie nicht aus heiterem Himmel gefallen, sondern Folge einer Jahrzehnte dauernden Entwicklung.

Auferstanden aus der Wende

Es hat den Anschein, dass der Osten seit 1990 mit Rechten durchsetzt ist. Seien es die rassistische Gewalt in Rostock-Lichtenhagen im August 1992, die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zwischen 2000 und 2007 oder die Pegida-Demonstrationen in Dresden und anderen Städten ab 2014.

Zwar spielte die Linke, damals noch als PDS, besonders nach der „Wende“ politisch eine große Rolle im Osten, doch hat sie den Status mehr und mehr verloren. Eine Begründung dafür könnte sein, dass die Linke sich über die Jahrzehnte von Ostdeutschland weg und hin zur bundesdeutschen Politik bewegt hat.

Die Linke war bis vor ein paar Jahren das politische Sprachrohr für Menschen im Osten. Eine Funktion, die sie nicht mehr erfüllt. Die entstandene Lücke wird nun von der AfD und möglicherweise zukünftig auch vom Bündnis Sahra Wagenknecht besetzt.

Doch woher kommen die rechten Tendenzen und warum ist Ostdeutschland ein Umfeld, das diese Einstellungen anzieht oder fördert?

Dazu ist ein Blick in die Geschichte notwendig. Der Osten Deutschlands ist (auch) das Produkt westdeutscher Politik und Interessen. Die ehemals souveräne DDR wurde 1990 an die bestehende BRD angeschlossen.

Dieser Vorgang, zumeist „Wiedervereinigung“ oder „Wende“ genannt, war schwerwiegend und einschneidend für Ostdeutschland und die Menschen dort. Doch wenn es um die Verbreitung rechter Einstellungen im Osten geht, wird dieser Aspekt gern übergangen, weil er unangenehme Fragen aufwirft.

Das Ende der DDR

Wenn es um die „Wiedervereinigung“ geht, werden meist Bilder jubelnder Menschen auf der Mauer und Trabbis gezeigt, die über die Grenze in den Westen fahren. Die „friedliche Revolution“ hatte gesiegt und die Menschen hatten endlich Freiheit, D-Mark und Kapitalismus. Aber wollten sie das eigentlich? Und wie geht es den Menschen heute?

Ursprünglich gingen die Menschen für einen reformierten Sozialismus und eine neue DDR auf die Straße. Daher auch der Spruch „Wir sind das Volk“. Keine Rede war von einer Vereinigung mit der BRD. Das änderte sich im Laufe der Ereignisse. Denn einerseits war die Oppositionsbewegung zu schwach und andererseits übten die Westparteien Einfluss auf die Parteien in der DDR aus (besonders die West-CDU unter dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl auf die Ost-CDU).

So plädierte auch die Ost-CDU zuerst für einen neuen Sozialismus. Im Verlauf des Umbruchs wurde sie aus dem Westen beeinflusst. So erhielt sie im Wahlkampf für die ersten (und letzten) freien Wahlen für die Volkskammer im März 1990 weitreichende Unterstützung von der West-CDU. Mit Erfolg, denn die von der CDU geführte Allianz für Deutschland gewann.

Bereits im Herbst 1989 hatte sich die Bewegung auf den Straßen und deren Parolen geändert. Nun hieß es „Wir sind ein Volk“. Viele Menschen erhofften sich schnellen Wohlstand von der Vereinigung mit der BRD und besonders von der D-Mark.

Eine Illusion, die von Kohl mit Aussagen wie „Es wird keinem schlechter gehen, aber vielen besser“ befeuert wurde. Eine Lüge, wie viele Menschen später feststellen mussten.

Dass die „Wiedervereinigung“ zu einer Katastrophe führen würde, war bereits damals vielen bewusst. Die geplante Währungsunion, die maßgeblich von Thilo Sarrazin erarbeitet wurde, war so drastisch, dass sie selbst vom früheren Bundesbankchef Karl Otto Pöhl abgelehnt wurde. Die Währungsunion, die das Ende der DDR besiegelte, ist ein Baustein für das heutige Elend im Osten.


Alles muss raus

Der andere wichtige Baustein ist der große Ausverkauf Ostdeutschlands durch die Treuhandanstalt. Währungsunion und Treuhandanstalt gingen Hand in Hand. Durch die übereilte Einführung der D-Mark waren ostdeutsche Betriebe auf einen Schlag nicht mehr konkurrenzfähig, während der Markt im Osten mit billigen Westprodukten geflutet wurde.

Die Treuhand nahm den Ball auf und erklärte die ostdeutsche Wirtschaft für marode und überschuldet. Als Folge wurden unzählige Betriebe geschlossen, für 1 DM an mitunter dubiose Investoren verscherbelt oder bereitwillig der westdeutschen Konkurrenz überlassen.

Unzählige Beschäftigte verloren über Nacht ihren Job, die gesellschaftliche Struktur brach zusammen.  Die DDR und alles, was damit zusammenhing, war von einem Tag auf den anderen überholt und wertlos. Für nicht wenige bedeutete dies der Verlust ihrer bisherigen Identität.

Die Menschen verloren nicht nur ihr Land und ihre Arbeit, sondern das soziale Gefüge. Die DDR setzte gezielt Betriebe in Regionen mit kaum oder wenig Industrie. Dazu gehörte auch ein Netz an sozialen Einrichtungen wie Krankenhäusern, Kindergärten, sozialen Treffpunkten usw.


Zu Verlierern gemacht

Mit der Deindustrialisierung durch die Treuhand wurden nicht nur die Betriebe beseitigt, sondern auch diese sozialen Netzwerke. Übrig blieb, was man heute in den ländlichen Gebieten im Osten vorfindet: leere Dörfer und Städte, kaum Jobs, wenige Geschäfte und fehlende soziale Angebote.

Die Gesellschaft im Osten wurde rigoros platt gemacht. Später wurde versuchte, Fabriken großer Unternehmen wie Porsche und BMW in Leipzig, Tesla in Grünheide oder Intel in Magdeburg anzusiedeln. Das Ziel war, Jobs zu schaffen, Zulieferer und Forschung zu stärken. Doch ist es sehr viel schwerer, im Osten wieder als industriellen Standort zu etablieren.

Dazu kommt, dass der Osten heute abhängig von Transferleistungen aus Westdeutschland ist. Dies hat Folgen, die sich über die Generationen immer weiter vererben. Konnten sich die Menschen in Westdeutschland privates Vermögen, z.B. Immobilien, aufbauen und vererben, war dies in der DDR ungleich schwerer.

Zusätzlich wurde dieses im Zuge der „Wende“ in vielen Fällen vernichtet oder entwertet. Dadurch klafft eine Lücke in den Startbedingungen der Menschen in Ost und West bis heute. Hinzukommt, dass der Osten überaltert ist und viele Bewohnerinnen und Bewohner desillusioniert sind. [1] So sieht sich laut einer Erhebung des Leipziger Else-Frenkel-Brunswik-Instituts ein Viertel der Menschen als Verlierer der „Wende“.

Die Rechten bleiben

Was macht man in einer Region, Stadt oder einem Ort, wo es keinen Job gibt? Wo man nicht wirklich einkaufen kann? Wo das nächste Kino 30 Kilometer weiter weg in der nächsten Stadt ist? Wo es keine kulturellen Einrichtungen gibt? Wahrscheinlich das gleiche, was viele, besonders junge Menschen (so auch ich) gemacht haben und machen: abhauen. Das ist ein riesiges Problem.

Die gesellschaftlichen Lücken sind ein idealer Nährboden für rechte Strukturen. Häufig besetzen sie diese und bieten stellenweise als einzige Dienstleistungen wie z.B. Kneipen, Restaurants oder Clubs an. So können sie sich etablieren und werden gleichzeitig von der Gesellschaft akzeptiert. Eine Gegenkultur dazu aufzubauen, ist ungleich schwieriger. Oft gibt es dafür nicht genug Menschen oder sie bleiben nur zeitweise, z.B. fürs Studium.

Trotzdem sich die DDR als antifaschistischer Staat verstand, gab es dort (Neo-)Nazis. Sie bauten gemeinsam mit Naziskadern aus dem Westen in und nach der „Wende“ Strukturen auf. Die deutsche Politik hat dagegen nichts getan und dies durch eine neoliberale Kürzungspolitik noch verstärkt.

Um rechte Tendenzen einzuhegen, ist es dagegen notwendig, ein stabiles gesellschaftliches und ökonomisches Umfeld zu schaffen. Denn wie Studien – etwa von der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2022 oder eine Untersuchung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) 2024 – zeigen, bekommen rechtspopulistische Parteien dort Zuspruch, wo die sozioökonomische Ungleichheit wächst.

Mit der Agenda 2010 hat die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder genau das Gegenteil von Schaffung von sozialer Stabilität getan und für noch mehr prekäre und unsichere Zustände gesorgt. Diese wurden durch die Finanzkrise 2008, die anschließende Euro-Krise sowie den Folgen der Coronapandemie noch verstärkt.

Die AfD und die Unsicherheit

Phänomene wie die AfD sind weder in Deutschland noch weltweit neu. Rechte Parteien bedienen die Ängste und Unsicherheiten der Menschen mit einfachen (und vor allem falschen) Antworten, die die tatsächlichen Probleme nicht beheben. Stattdessen wird der Frust und die Verunsicherung für rassistische oder sozialchauvinistische Politik genutzt..

Das konnte in Griechenland zur Euro-Krise mit der Goldenen Morgenröte beobachtet werden. Auch dort wurde im sozialen Bereich stark gekürzt. Ähnliches lässt sich in Großbritannien mit dem Brexit beobachten, der auch eine Folge der Kürzungspolitik der ehemaligen Premierministerin Margaret Thatcher ist, oder in den USA mit Donald Trump.

Die Beschneidung sozialer Leistungen – wovon vor allem das Kapital profitiert – führt zu einer Prekarisierung und zu größerer Unsicherheit bei den Menschen. Diese Unsicherheit führt zu Ängsten und befeuert populistische Parteien. Oder anders ausgedrückt: „Wähler mit prekären Beschäftigungsverhältnissen geben mit größerer Wahrscheinlichkeit als der Durchschnittswähler ihre Stimme Parteien, die ihre Probleme auf vereinfachende Weise angehen und ihre Ängste systematisch ausnutzen“, wie es 2013 in einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung heißt.

In Deutschland konnte in den vergangenen Jahren und Krisen (und die damit verbundenen politisch gewollten Kürzungen im sozialen Bereich) beobachtet werden, wie weite Teile der Bevölkerung rechte Einstellungen angenommen haben. Das Besondere im Osten ist, dass dort wegen der Nachwirkungen der „Wende“ die Zustände schon vorher schlechter und unsicherer waren.

Umverteilung gegen rechts

Die drängende Frage ist, wie dieser Zustand behoben werden kann. Theoretisch wäre das einfach: mehr Geld für soziale Leistungen, Ausbau der sozialen Infrastruktur und eine Umverteilung von oben nach unten (z.B. durch eine Besteuerung der Reichen).

Praktisch wird das Ganze komplizierter. Denn um die Probleme in Ostdeutschland, die teilweise auch im Westen vorhanden sind, wirklich beheben zu können, ist eine Abkehr vom kapitalistischen System unumgänglich.

Hier könnte und sollte die Linke eine Position entwickeln, die dieses Ziel verfolgt und eine radikale Gegenposition zur vorherrschenden Politik anbietet. Dabei darf man allerdings nicht stumpf die DDR zurückjubeln wollen, denn deren Untergang hatte berechtigte Gründe. Die Unfähigkeit zur Öffnung gegenüber Kritik und zur Anpassung haben ihr letztendlich den Todesstoß verpasst.

Doch schon 1989 gingen die Menschen für eine Alternative auf die Straße; sie wollten weder die alte DDR noch den heutigen Kapitalismus. Hier könnte und sollte die Linke eine klare Position einnehmen, die der aktuellen Wirtschaft und Politik eine Absage erteilt und eine Alternative anbietet. Mit der „Wende“ wurde die Chance leichtfertig vertan, aus der DDR zu lernen. Noch ist es dafür nicht zu spät.

 

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[1] Die große Mehrheit der Befragten gab an, sich ohne politischen Einfluss zu fühlen. Die Identifikation als Ostdeutsche ist hoch, die Bilanz der Wende durchwachsen: „Ein Viertel fühlt sich als Verlierer der Wende, nicht mal die Hälfte möchte sich als Gewinner bezeichnen. Rückblickend ist die Zufriedenheit unter den Befragten mit ihrem Leben in der DDR hoch“ EFBI

 

Stella Bugatti  kommt ursprünglich aus der DDR und hat nach einem Umweg in den Westen wieder zurückgefunden. Er engagiert sich beruflich für den Klimaschutz und privat für Ostdeutschland.

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