Fotografie: Redaktion Ostjournal, Typografie: Iliyá Fogg.
Post-Ost
Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen?
Von den Fallstricken und Hoffnungsschimmern einer utopischen Formulierung
von Anna Koemets
Juni 2024
>>
Und ein weiteres Mal drückt Danila Bagrov gekonnt den Abzug. Die Belanglosigkeit seiner Handbewegung steht jener, mit der er danach zum Discman greift, in nichts nach. Der melancholische Sound von Perestroika Rock begleitet uns durch die Straßen Sankt Petersburgs, weg vom Tatort. Mal schauen, was der Abend noch so bringt – Party mit Kat oder ein Date mit Sveta vielleicht. Das erbeutete Geld verteilt der nette Auftragsmörder von nebenan unter seinen Liebsten und behält lediglich die Summe ein, die ihn am Ende nach Moskau bringen soll. Was genau er in der Stadt will, erklärt sich einem nur, wenn man um den Moskau-Hype der Zeit weiß. Auch dass Danila auf Leute schießen muss, weil sein Bruder Dreck am Stecken hat, wirkt wenig sinnstiftend, eher wie ein unglücklicher Zufall. Mit dieser Storyline bringt der Film Brat, zu deutsch „Bruder“, im Jahr 1997 die Bandenkriminalität Sankt Petersburgs nach dem Zerfall der Sowjetunion auf die große Leinwand.
Nun könnte man Vieles aus dem Film ziehen: Kontinuitäten der Gewalt in der russischen Gesellschaft, das Rachemotiv gegenüber den USA nach dem Kalten Krieg, ein Nährboden der Angst, auf dem Putin sein System aufgebaut und legitimiert hat. Was aber im entsprechenden Uni-Seminar, das mich erstmals mit dem Film konfrontierte, für rauchende Köpfe und Irritation sorgte, war die Frage nach der Motivation des Protagonisten. Warum die Gewalt? Warum die gute Miene zum bösen Spiel? Meine Irritation blieb irritierenderweise aus. Stattdessen der Zyniker in meinem Kopf: „От каждого по способностям, каждому по потребностям“ – zu deutsch: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ (Marx, 1875). Brat war die groteske Inszenierung des sowjetischen Mantras, mit dem ich aufwuchs, dem sog. Grundsatz des Kommunismus. Danila hat seine Militärausbildung gerade abgeschlossen, er kann schießen, ja sogar mühelos die entsprechenden Waffen im eigenen WG-Zimmer zusammenzimmern. Er braucht keine Motivation. Es wäre schlicht eine Verschwendung seiner Fähigkeiten, die Aufträge des Bruders nicht zu erfüllen und somit seinen Liebsten das Geld, das er durch Mord und Totschlag erbeutet, zu verwehren; ihr Bedürfnis nicht zu erfüllen. Wikipedia dazu: „Im Allgemeinen besitzt der Film in postsowjetischen Raum Legendenstatus und zeigt, wie man ohne Vermögen ein ehrbares Leben mit moralischen Werten führen kann.“ Naja. Das richtige Leben im Falschen auf Russisch.
Von „Jedem nach seinen Bedürfnissen“ zu „wer nicht arbeitet, darf nicht ins Berghain“
Dass an dem Mantra etwas nicht hinkommt, hätte ich mir schon vorher denken können. Nicht umsonst assoziierte ich es auch seit jeher mit dem Druck, meine Fähigkeiten und Vorzüge „nutzbar“ machen zu müssen, mich anderen genug „zur Verfügung“ zu stellen, ob im Abstrakten für „die Gesellschaft“ oder im Spezifischen für mein soziales Umfeld. Wie sinnentleert und ausgehöhlt die Aufforderung zum Einbringen nicht weiter ausformulierter Fähigkeiten aber ist, wurde mir erst bewusst, als ich den Film Brat Revue passieren lassen habe und feststellen musste, dass auch die implizite Aufforderung zu amoralischen Handlungen dem Mantra nicht im Geringsten widerspricht. Wie stark es hier neben dem Ausschöpfen von Fähigkeiten auch um eine Außendarstellung von Leistung geht, zeigt ergänzend der große Bruder, auf den der Filmtitel anspielt – laut der Mutter ein „großer Mann“, ihre „einzige Hoffnung“. Worauf diese „Größe“ zurück geht, erfährt erst Danila, als er ihn in der großen Stadt besucht. Auch das ist mir nicht unvertraut. Bis heute gilt: Die wenigsten meiner estnisch-russischen Verwandten fragen mich nach dem, was ich eigentlich inhaltlich genau mache in meinem Leben.[1] Du hast einen höheren Abschluss? Molodez. Strebst vielleicht sogar einen Doktortitel an? Otlitschno. Dazu noch irgendwas mit Bühnenpräsenz und einem Instrument? Oi, Umnitschka. Anfang des Jahres schickte ich meiner Oma das Video einer Rede, die ich gehalten hatte. Große Bühne, sehr viele Menschen. Sie war so stolz, dass sie zwei ganze Monate lang vergessen hat nach Job oder Familienplanung zu fragen. Allen ihren Freundinnen habe sie es geschickt. Oma, ich rede da auf einer Demo gegen Rechts, weil die Nazis in Deutschland Leute deportieren wollen. Vielleicht ein guter Moment um über Rassismen, Antisemitismus, Rechtsruck zu sprechen? Natürlich nicht – Leistung vor Inhalt. Was sie lobt, ist meine Intonation.
Ein Auseinanderklaffen zwischen den netten Sprüchen, die bei uns gepredigt werden und der arg davon abweichenden Lebensrealität, stelle ich nicht zum ersten Mal fest. Nur hatte ich das bisher auf biografische, sozio-ökonomische oder psychische Gründe zurückgeführt. Oder es musste an der späteren Ummünzung dieser Werte auf die gelebte neoliberale Realität liegen. Was allerdings zu kurz kam: die gepredigten Werte selbst einer Prüfung zu unterziehen; sie daraufhin zu analysieren, wie sie mal gemeint waren, in welchem politischen Kontext sie sich in die Identität meiner Familie eingeschrieben haben und wie dieser dazu beigetragen hat, was heute noch von ihnen übrig ist. Ein erster Hinweis darauf, dass dieser politische Kontext bei Marx‘ o.g. Grundsatz des Kommunismus nicht ganz irrelevant ist: Von der Ausrichtung an Bedürfnissen war man innerhalb weniger Jahre UdSSR bei der Ausrichtung nach Leistungen. So heißt es 1936 in der sog. Stalin-Verfassung:
„Die Arbeit ist in der UdSSR Pflicht und eine Sache der Ehre eines jeden arbeitsfähigen Bürgers nach dem Grundsatz: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“. In der UdSSR gilt der Grundsatz des Sozialismus: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung“.
Geboren war das sog. sozialistische Leistungsprinzip.
Einen „kleinen“ Hyperfocus auf eben dieses Leistungsprinzip später, bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob überhaupt ein Widerspruch zwischen dem, was meine Familie in den Schulbüchern gelernt hat, und dem, was sie heute lebt und predigt, vorliegt. Wohl eher klafft der Widerspruch zwischen der ursprünglichen Idee, mit der sich die UdSSR legitimiert hatte und dem, wie sie die Idee neu ausrichtete, um ein sich konsolidierendes politisches System mitsamt politischer Ambitionen zu stützen, die ihr faktisch widersprachen. Marx hätte sich bei all dem wahrscheinlich im Grab umgedreht. Viele seiner Ideen, allen voran das oben beschriebene Mantra der Orientierung an Fähigkeiten und Bedürfnissen, hatte er zu den Grundsätzen einer kommunistischen, befreiten Welt der Zukunft stilisiert.
Tallinn, 2015. Sie predigt „Kultiviertheit“ und hält den adeligen Ex-Mann ihrer Mutter in Ehren aber wünscht sich jeden Tag die Sowjetunion zurück – kein Widerspruch, wenn man nicht davon ausgeht, dass die Ideologie für irgendwen von zentraler Bedeutung war. © Anna Koemets
Und das nicht aus Spaß, sondern aus der konkreten Sorge heraus, dass viele überhaupt nicht herrschaftsfreie Ideen unter dem Deckmantel einer „realsozialistischen Übergangsgesellschaft“ weiterleben können, wenn man so tut, als lebe man schon in der Utopie. Nicht umsonst entstammt der ursprüngliche Satz Marx‘ einer Kritik, die er 1875 am „Gothaer Programm“, dem Parteiprogramm einer damaligen Vorläuferpartei der SPD, anbringt:
„In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“
Wenn sich eine nicht-befreite Gesellschaft dieses Mantra allerdings davor auf die Fahne schreibt, bzw. zu allem Übel auch noch maximal inhaltsentfremdet [2] umformuliert, gerät das Ziel der Herstellung von Bedingungen, unter denen so ein Grundsatz überhaupt frei von Herrschaft umsetzbar wäre, völlig aus dem Blickfeld. Real diente das Marx’sche Mantra nämlich schlicht als Legitimation für eine sowjetische Herrschaftselite, die sich zunächst materiellen Wohlstand in einer durchkapitalisierten, globalisierten Welt aufbauen und dieses Bestreben gleichzeitig in Theorie und Praxis revolutionär aussehen lassen musste. Die Folge? Das schlechte Leben für alle, außer für jene, die der Partei nahestanden: 40h-Woche für „alle“, Auszeichnungen über Auszeichnungen für einen Funken Motivation, brutale Arbeitslager und eine Kriminalisierung der Nicht-Arbeit, die inmitten all der Dramatik teils absurde Züge annahm. So konnte z.B., wer in der DDR eine „arbeitsfeindliche Haltung“ zeigte, schonmal den Vermerk „Berlin-Verbot“ in seinen Pass bekommen. Legitimiert wurde das ganze mit „Nicht mehr lang, bald ist ja Kommunismus“, was jenen, die im „Zwischensystem“ Realsozialismus an der Macht sind, natürlich nur allzu sehr in den Kram passt und einem Abbau von Hierarchien und Herrschaft nicht gerade Vorschub leistet, es sogar strukturell verunmöglicht. Ungefähr so wurde mir die Sowjetunion erklärt, als ich zum ersten Mal als Kind danach gefragt habe: Ein dauerhaftes Warten auf etwas Besseres, das nicht eintritt. [3]
Gute Zeiten, Schlechte Zeiten – mit Excel Tabelle gegen die Entfremdung der Freizeit
Wo aber das Gefühl, dauerhaft „produktiv“ sein zu müssen herkommt, erklärt das noch nicht. Zwar schwingt bei „Jeder nach seinen Fähigkeiten“ eine gewisse Bringschuld mit, sowie die Aufforderung, dass sich die Arbeit eher danach auszurichten habe, wie viel und was man schaffen kann und weniger danach, wie viel und was man schaffen will. Der offizielle Arbeitstag im sowjetischen System war zeitlich aber stark begrenzt, und das für alle. Was allerdings nichts heißt, dass du und Karl nach dem Plenum lecker Bierchen hättet trinken können. Denn auch Marx, bei aller Liebe zur „Selbstentfaltung“, war kein Freund der Zerstreuung. Zerstreuung assoziierte er mit Kommerzialisierung, Individualisierung unter dem Deckmantel der „Freiheit“ und Flucht vor jeglichen Verpflichtungen und pädagogischen Angeboten. Parallel zur Entfremdung des „modernen“ Menschen im Bereich der kapitalistischen Arbeit stellte er hiermit eine Entfremdung im Bereich der kapitalistischen Freizeit zur Debatte. [4]
Sur l’eau. Wie schön, dass der See vor dem Haus meiner Großeltern sich jeder Kontrolle entzieht. Freizeitaktivitäten, die mit dem Eis verbunden sind, können nicht geplant werden; Natur nicht beherrscht werden. Dosug, aber mehr im Sinne der Muße als der Freizeit. © Anna Koemets
Meet dosug [5] das russische Wort für, richtig, Muße. Bezeichnend, dass ich es vor meiner Recherche zu diesem Text nicht kannte.
Mama, was assoziierst du mit dosug? Luxus, Genuss, Privileg; Etwas, das stark limitiert ist, man sich erstmal verdienen muss; Wie Freizeit, aber das sagt man dort eben nicht so, wie man hier Freizeit sagen würde; Aber eben auch kein chillen, dafür ist das Wort zu hochgestochen. Es ist kein passives „Nichts tun“ oder Faulenzen, ist mit etwas werthaltigem gefüllt; Unterhaltungen, Essen, Exkursionen.
Ich zeige ihr ein Bild von meinen Omas (wohlgemerkt im Wintergarten der Reicheren von ihnen) mit Sekt in der Hand und Sonnenstrahlen im Gesicht. Dosug. Ich zeige ihr ein Bild von Jugendlichen, die mit Bierchen und Kippe im Häuschen eines heruntergekommenen Hinterhofspielplatzes sitzen. Kein Dosug. Grund: Es habe „kultiviert“ zu sein. Ich denke an die Memes über Dinge, die als „kultiviert“, „classy“, gelten wenn man reich ist und „unkultiviert“, „trashy“, wenn man arm ist – Daydrinking, Jogginghose, Zweisprachigkeit, alte Gegenstände. Davon, dass Dosug übersetzt „Muße“ heißen soll, ist Mama nicht überzeugt. Verständlich, gibt es im Deutschen doch definitiv keine Ausrücke für: „Organisierung der Muße“, „Mußeprogramm“, „sportliche Muße“, „Muße-Organisator*in“. Vielleicht kein Zufall, dass ein Russisches Wort, das der Muße zumindest mal nahekam nach 70 Jahren UdSSR aus der Sprache verschwunden und wo vorhanden, zu einer Beschreibung von aktiver und eher gutbürgerlicher Freizeitbeschäftigung geworden ist.
Neben der „Alles für die Gesellschaft“-Bringschuld im Arbeitsleben hatte der sowjetische Mensch nämlich eine massive Bringschuld im vermeintlich Privaten, das so lange nicht mehr privat bleiben sollte. Trotz der Absicht einer Ausweitung der Freizeit durch eine Begrenzung der Arbeitszeit, damit sich Arbeiter*innen ganz im Sinne der „Selbstentfaltung“ belesen, organisieren und sich ihres revolutionären Potentials bewusst werden konnten, machten weder Partei noch ihr Vordenker einen Hehl draus, dass sie auf die Eigenständigkeit der Massen wenig hielten. Zu zentral ist im Marxismus die Doktrin des falschen Bewusstseins, das erst durch eine Überwindung der Herrschaftsverhältnisse aufgelöst werden kann. Vertrauensvorschuss in ein autonomes Zusammenleben und Lernen: Error 404 not found. Die Auflösung des Dilemmas zu Gunsten eines autoritären Durchgreifens scheint hier fast vorangelegt. Einer Herrschaftssicherung unter dem Deckmantel der Erziehung zum „Neuen Mensch“ kommt das sehr gelegen. Diese sah eine absolute Kontrolle über das letzte Fünkchen Freizeit vor. Propagiert wurde eine vorstrukturierte geistige und körperliche Aktivität im Kollektiv, ganz im Sinne der Produktivkraftsteigerung (à la wer sich gut erholt, arbeitet gut) und der Kontrolle über die Ideologieübernahme (à la wer seine durchstrukturierte Freizeit im Kollektiv lebt, kann sich nicht allzu viele systemkritische Gedanken machen). Verdächtig macht sich, wer sich absondert. Oma runzelt bis heute die Stirn, wenn es darum geht, dass ich Zeit für mich haben möchte. Sogar ihre „Erholung“ auf der Datscha war von Betriebsamkeit und Sozialkontakten geprägt. Ich erinnere mich nicht daran, dass sie sich jemals ohne explizite mehrfache Aufforderung zum Essen hingesetzt hätte, anstatt weiter durch die Küche zu wuseln.
Kein Wunder, dass meine Freund*innen mich seit jeher dafür auslachen, im Urlaub nicht die Füße stillhalten zu können. Die Urlaube mit meiner Mutter waren stets mit Excel-Tabelle durchgeplant. Kein Wunder, dass ich solange ich denken kann ein mulmiges Gefühl bei dem Wort „chillen“ bekomme, mich schon als Kind unwohl und verletzlich fühlte wenn ich dazu gezwungen war, unstrukturierte und ergebnisoffene Zeit mit anderen Kindern zu verbringen. An meinen Kindergeburtstagen gibt es ein Programm. Es wird gebastelt und ich sitze, bis mein Windlicht so aussieht wie auf den Bildern der Anleitung, hochkonzentriert neben meiner Mutter, die wiederum verzweifelt versucht, die Kinder, die lieber chillen würden, für die Bastelaufgabe zu gewinnen. So wie auf den von Eltern begleiteten Kindergeburtstagen in Estland eben, bevor mit dem Umzug nach Deutschland plötzlich ganz andere Verhaltensweisen von uns erwartet wurden. Klingt schlimm? Weiß ich nicht. Für mich waren eure unstrukturierten Geburtstage beklemmender. Ich musste mir small talk, anekdotische Selbstironie und niedrigschwellige Pen & Paper Spiele beibringen (im Rahmen von chillen gerade noch so erlaubt), um nicht durchzudrehen. Kleiner Tipp an Forschende und Therapierende: Der Faktor politische und sozio-ökonomische Sozialisierung darf bei der Erforschung von Symptomen, die hier gemeinhin unter ADHS gefasst werden, ruhig mal ausbuchstabiert werden, anstatt ihn lose beim bio-psycho-sozialen Krankheitsmodell „mitzumeinen“.
Tallinn. Außen Platte, innen Blumen vor Blumen vor Blumen. Ich glaube, Ich fange an zu verstehen, warum hier niemand was mit Minimalismus anfangen kann. © Anna Koemets
The „good“ part: „Kulturprogramm“ hat im postsowjetischen Raum bis heute einen weitaus weniger elitären Anstrich als anderswo und bietet klassenübergreifende Zugänge. Im Gegensatz zum Westen zielte Freizeitpropaganda eben nicht auf Konsum ab. Es stellt absolut keinen Kontrast dar, dass meine Oma in der Platte wohnt und regelmäßig ins Theater geht. The bad part: Aktivitätsdruck, Vorzeigementalität und restlose Nutzbarmachung der Freizeit erzeugen eine Selbstausbeutung im Namen des Systems, bei der die FDP grün vor Neid werden würde. Anekdotisch erinnert sich meine Mutter an Dogmen, dass mehr als 8h Schlaf am Tag krank seien, sowie an eine rigide Unterteilung in aktive und passive Erholung. „Passive“ Erholung wurde dabei, surprise, synonym mit destruktiver Erholung verwendet.
The very very ugly part: Sanktionierung jeglicher „devianter“ Freizeitgestaltung – Alkoholismus, Kriminalität, you name it. Ein weiterer Effekt, der sich aus dieser binären Einteilung in gute und schlechte Freizeit ergibt, sowie aus dem rigiden Festhalten an dem antifaschistischen Selbstbild eines Systems, das nicht kritisiert werden möchte: Eine moralische Gleichsetzung jedes abweichenden Verhaltens. Jugendliche Nazi-Strukturen in der DDR z.B., wurden somit schnell mal zum harmlosen Rowdytum erklärt und waren damit ähnlich „schlimm“ aber eben auch ähnlich banal wie die Arbeitsverweigerung. Aufarbeitung Fehlanzeige. Auch unser netter Auftragsmörder Danila aus dem Film Brat verbringt seine Freizeit „kultiviert“, nicht „destruktiv“. Er sieht andere zwar trinken und konsumieren, aber entscheidet sich für den bescheidenen Discman, der ihm zum Ende des Filmes buchstäblich das Leben rettet. Im Discman läuft russische Musik, mit amerikanischer kann er wenig anfangen. Die Treue hält er damit nicht nur seinen Nächsten, sondern auch seinem Land. Nationalismus, solange er eben in schickem Trenchcoat daherkommt, widerspricht dem „kultiviert“ Sein nicht – im Gegenteil.
Deduschka – wem schulde ich eigentlich was?
Wer allerdings an dieser Stelle verwirrt ist, an wen sich die oben skizzierte Bringschuld denn nun richtet – Gesellschaft, Staat oder Familie – ich bin es selbst auch. Kurz vor knapp traue ich mich dann doch meinen Opa anzurufen; traue mich, die Dinge, die ich in meiner Recherche glaube, gelernt zu haben, einem Realitätscheck zu unterziehen. Endlich habe ich das Gefühl, zu wissen, welche Fragen ich stellen muss, um mir ein Bild von seinem Leben machen zu können. „Opa – erzähl mal was von früher“ birgt eben mehr Gefahr eine abstrakte, romantisierte oder inkorrekte Version zu hören, als „Opa – wie hat sich deine Freizeit in der Sowjetunion eigentlich von der heutigen unterschieden?“ Und siehe da – mein Opa, den ich sonst immer als treu auf Parteilinie verortet habe, legt los. Sein Urteil fällt vernichtend aus: Die damalige Freizeit sei überstrukturiert gewesen, überorganisiert, alles musste nach Plan verlaufen. Demos, Urlaube, Feste, die Partei hat dich auch nach der Arbeit nicht in Ruhe gelassen – im Gegenteil. Da war nichts mit jeder macht einfach ein bisschen was für sich. Warum glaubt er, sei das der Fall gewesen? Naja, um die Menschen zu Patrioten zu erziehen. Ob gegenüber der jeweiligen Republik oder gegenüber der UdSSR als Ganzes, das beschäftigt ihn ein bisschen – „beides in gleichen Teilen“. Und der „Neue Mensch“? Ja, den gab’s auch, das stand auch so in den Lehrbüchern. Aber in den Lehrbüchern habe vieles gestanden, immer waren sie in irgendetwas die besten der Welt. „Показуха“ – Augenwischerei. Was die Lehrbücher einem allerdings nicht verraten, ist das, was die Menschen draus gemacht haben. Für die DDR z.B. beschreibt der Soziologe Steffen Mau dieses kollektive Coping mit einem übergriffigen System als eine Art „gaming the system“. Er beobachtet einen Rückzug in private Nischen, allen voran in die Familie – und das nicht etwa mit dem Ziel der Emanzipation, sondern der Bewahrung kleiner privater Freiheiten. Die Erzählung meines Opas deckt sich hiermit 1:1. Das herrschende System („Власть“) habe ein Leben geführt, die darin lebenden Menschen ein anderes. Übergriffiges Verhalten des Staates bei nicht-Einlösung seiner Versprechen, z.B. in Punkto Lebensstandard, schaut nicht gut aus. Aufmüpfigkeit aber hat es nicht gerade leicht wenn die Doktrin, der Einzelne könne ohne die Massen eh nichts reißen, omnipräsent ist und die Aufforderung zur gegenseitigen Kontrolle Norm-Konformität zur Überlebensstrategie macht. Und wenn du „Demo“ und „Revo“ mit vorgemalten Schildern und von der herrschenden Partei organisierten Märschen verbindest, ist es wahrscheinlich nicht das Erste, woran du denkst, wenn du eben dieser Partei ausweichen oder gar eins auswischen willst. [6]
Der systematische Rückzug ins Private bringt Licht ins Dunkel, was die Frage nach der „Bringschuld“ angeht. Denn ja, die UdSSR hat den Leuten zwar eine Bringschuld gegenüber dem „System“ anerziehen wollen. Aber viele schienen „dem System“ bei Weitem nicht so viel Wichtigkeit beizumessen wie das System sich selbst. Wo Anti-Individualitätsanspruch in der propagierten Ideologie und Autonomieanspruch in der gelebten Realität aber nahtlos zusammenfließen können, ohne sich gegenseitig zu sehr im Weg zu stehen, ist die Illusion einer Bringschuld in Bezug auf Familie, die Engsten, die „Eigenen“. Solange auch die dazu führt, dass Mensch arbeitet, stört sich das System nicht dran. Und solange der Mensch sich erzählen kann, dass er es ja nicht fürs System, sondern für seine Liebsten tut, bewahrt er sich ein letztes Fünkchen Autonomie, um sich seine Einrichtung in einem System zu legitimieren, mit dem er nicht ganz d’accord geht. Beide müssen einen Anreiz haben, das Spiel der Verschleierung mitzuspielen. Mit Sicherheit hängt die Frage, ob man Jahre später noch mit diesem Mantra aufwächst, also auch damit zusammen, wie gut die eigene Familie sich in der UdSSR eingerichtet hat. An dieser Stelle wird’s offensichtlich: die Überlebenden und Erzählenden meiner Familie eher gut. Sonst hätte es wahrscheinlich keinen Film über die russische Mafia gebraucht, um mir die Fallstricke meines romantisierten Kindheitsspruchs aufzuzeigen. Aber als Erklärung für diese Kontinuität reicht die positive System-Bejahung oder die negative Angst vor Sanktionierung eben nicht. Was von der Ideologie heute übrig ist, bzw. warum sich bestimmte Anteile immer noch durch Familien ziehen, lässt sich möglicherweise erst mit Blick auf die Rahmen verstehen, in denen Menschen ihr gleichzeitig nachkommen und ausweichen konnten. Rahmen, die eine neue Interpretation der Parteidoktrin hervorbrachten, deren Anteile sich eben abhängig davon, wie wandelbar sie waren, gehalten haben.
Spaziergang mit Oma zum Denkmal für die in der UdSSR Deportierten in Tallinn. Ich lese die Tafeln, vertraute Namen. Sie geht weiter, wollte mir nur die schicke neue Architektur zeigen und auf ihre täglichen fünf Spazierkilometer kommen, statt ein geschichtliches Fass aufmachen. Hauptsache nicht Nichts tun. © Anna Koemets
Und plötzlich wirkt es gar nicht mehr so absurd, dass Brat sich so einer großen Beliebtheit erfreut, Danila Bagrov quasi zu einem postsowjetischen Robin Hood stilisiert wird. Nur, dass sich seine moralischen Werte eben irgendwo zwischen einem Ausschöpfen der eigenen Fähigkeiten, dem „nicht Nichts Tun“, der „tugendhaften“ Freizeitgestaltung und einer Prise Bringschuld und Gönnerhaftigkeit im Privatleben verstecken. Das Herumwinden um die Kontrollansprüche des Systems und die stille Hinnahme, dass sich die Gestaltung der Arbeitszeit wie Freizeit maximal danach richten, materiell das Beste für sich und seine Nächsten unter den gegebenen Bedingungen rauszuholen, vervollständigt auch das Bild der desinteressierten Eltern- und Großelterngeneration. Wenn man es gewohnt ist, dass so wenige Freiheiten in Bezug auf die eigenen öffentlichen Tätigkeiten existieren – wozu dann inhaltlich zu genau bei den Enkelkindern nachfragen? Es ist doch nicht so, als würden sie sich aus freien Stücken zu dem entscheiden, was sie tun; als würde es groß etwas über sie als Personen aussagen. In der Logik erscheinen Leistung und Verdienst tatsächlich aussagekräftiger; schließlich wirken die sich unmittelbar auf den zurückgezogenen Menschen und sein Umfeld aus.
Die traurige Ironie: Ausgerechnet Marx Kritik am übersteuerten Privatbewusstsein des „modernen“ Menschen, an seiner Vereinzelung und seinem Rückzug ins Private, war es, die der UdSSR den Weg ebnete zu einer übergriffigen, autoritären Erziehung „von oben“, welche den „Neuen Menschen“ im Gegenteil noch mehr in sein Privatleben rein- und aus der „Gesellschaft“ rauskatapultierte. Es ist, als würde jemand eine Schmetterlingsraupe anschreien, doch endlich ihre scheiß Flügel aus dem Kokon zu bekommen, um sich dann über die nicht vorhandene Wirkung zu wundern. Zurecht könnte man die Frage in den Raum stellen, ob dieser jemand überhaupt an der Entfaltung des Schmetterlings interessiert war, oder ob er sich einfach nur an seiner Schönheit bereichern, die eigene Macht spüren wollte. Opa sieht die traurige Ironie auch. Dann schließt er unser Telefonat mit der Bemerkung, dass es gut sei, dass ich mit der Soziologie ein Interesse habe, dem ich nachgehen kann. Ich hoffe kurz, ihn für das Fach gewonnen zu haben. Dann führt er aus: Gut für die persönliche Entwicklung. Ich verkneife mir den Kommentar, dass das doch schon wieder eine Bewertung auf Leistungs- statt Inhaltsebene ist und verabschiede mich – zeluju, ckutschaju, paka paka.
Post-soviet Killjoy im autonomen Zentrum
Und wenn ich mir die Propagandaplakate der UdSSR zur Freizeitgestaltung so anschaue, verstehe ich, was mich am Sowjetfetisch so mancher sich links wähnender Leute eigentlich (zusätzlich zu dem Offensichtlichen) so irritiert. [7] Die Partei hätte uns, die da gemütlich im autonomen Zentrum sitzen, trinken und rauchen, gehasst. Tattoos hätten uns auf jeder Ebene disqualifiziert. Wir hätten in der Nacht ins Gym gehen und gerade so mit der Beziehungs-Person auf einer Parkbank knutschen dürfen, aber auch nur, wenn nicht zu viel philosophiert wird. Die einzigen Bahnen, die gezogen werden dürften, wären im Schwimmbad, um „dem Westen“ im nächsten Wettbewerb mal zu zeigen, wo der Hammer hängt. Wobei – so ganz ohne Hilfsmittelchen ging das ja auch nicht. Wie ironisch, dass sogar die auf staatlichen Zwang hin konsumiert wurden. Kurz: Wer an straight edge mit Verweis auf eine Tendenz zur Selbstoptimierung (teils berechtigte) Kritik übt, sollte wenigstens der Konsistenz halber die Füße stillhalten, was Gulag-Witze angeht (wenn Anstand als Grund schon nicht reicht). Kritisch beäugt habe aber ich mich zu Anfang gefühlt – und das nicht nur als „Spielverderberin“, Killjoy, die eine popkulturelle rote Seifenblase zerplatzt, sondern auch in Bezug auf Denken und Handeln. Der Vertrauensvorschuss funktioniert hier andersherum. Wer sich anstrengt, gilt als anstrengend. Nicht wer sich mal von der Gruppe absondert, Normen bricht oder sich der Selbstoptimierung verweigert, steht hier unter Verdacht – sondern der, der normkonform auftritt, in der Freizeit über Arbeit redet und sich in ein Projekt nach dem nächsten stürzt. Die Annahme: Hast du kein authentisches Inneres? Was kompensierst du? Wovor rennst du weg? Ich kann die moralische Empörung (so subtil sie auch sein mag) über einen internalisierten Leistungsdruck von Seiten jener, die das Privileg hatten, ohne ihn aufzuwachsen, nicht mehr hören. „Entspann dich Mal“ – wir wissen alle auf wessen Kosten der Westen sich seit Jahrhunderten entspannt und in gemütlicher Arroganz Muße als Tugend predigen kann, während andere sich abstrampeln dürfen, um Schritt zu halten. Und hier muss ich mit mir selbst ins Gericht gehen. Was an meiner Kritik ist ein Aufzeigen von Widersprüchen, was davon der eigene Arbeitsfetisch, der aus mir spricht? Der zynische Neid auf Entspannung?
In Bezug auf die UdSSR kann ich mich nur Mau in der eindringlichen Forderung anschließen, sich mehr mit der Lebenswelt der UdSSR auseinanderzusetzen. Dass das bis heute so wenig passiert, liegt mit Sicherheit auch an der Projektionsfläche Ost – ob für Auf- oder Abwertung – und am Distanzierungsdruck, den Linke immer wieder zu spüren bekommen. Fatal, denn so Vieles, gerade in Bezug auf den so oft festgestellten Rechtsruck, lässt sich erst mit Blick auf eben diese Lebenswelt verstehen und bearbeiten – sei es der Patriotismus, den die UdSSR eben doch geschürt hat und an den die neuen Nationalstaaten nahtlos in ihrem eigenen Legitimationsbedürfnis angeknüpft haben, der Sozialchauvinismus, der sich aus der Arbeitsdoktrin ergibt oder der Rückzug ins Private vor staatlicher Kontrolle. Es wundert mich nicht, dass viele Autoren, die zum Thema der sowjetischen Ideologie und Praxis schreiben, irgendwann bei dem Punkt des Vertrauens landen. Mau z.B. plädiert explizit für mehr Vertrauen in und weniger Bevormundung von benachteiligten Gruppen – und das nicht aus einem Wissensvorsprung der Betroffenheit heraus, der eigentlich nur die Wissenshierarchie einmal umdreht, sondern für ein nachhaltiges Abschaffen von Herrschaftsstrukturen zugunsten von herrschaftsfreier Autonomie, die erst mal geübt werden will. Eine Mahnung, die man auch im Kleinen nicht vergessen sollte.
Um diesen Arbeitsfetisch endgültig zu Grabe zu tragen, muss man sich fragen, welche Arbeit diese Gesellschaft braucht und welche davon man machen will. Das Können sollte das Wollen nie ersetzen. Nach der Rechnung hätte ich Mathe und nicht Soziologie studieren müssen, weil ich schneller im Rechnen bin als im Lesen. Und auch das Wollen ist ja bekanntlich nicht frei von Produktivitätszwängen, gerade mit Blick auf die immer wieder hochgehaltene „Entfaltung“. Natürlich gibt es Arbeit, auf die niemand Bock hat und die dennoch erledigt werden muss. Aber vielleicht schaffen wir es ja irgendwann, dass diese sich auf die Befriedigung realer Bedürfnisse konzentriert anstatt auf die Befriedigung von Wirtschaftswachstum zu Gunsten eines Staatssystems oder einer trickle-down Illusion – weil mindblowing: Dann müssten sich alle zu weitaus weniger zwingen, weil ganz viel Arbeit wegfallen würde. Da reichen Konzepte wie Grundeinkommen und Viertagewoche nicht, auch wenn sie erste Anknüpfungspunkte bieten. Wir müssen fundamental schauen, wie Fähigkeiten und Bedürfnisbefriedigung miteinander verknüpft sind und beide daraufhin analysieren, in welchen Strukturen sie entwickelt und vorgeprägt werden. In erster Linie müssen wir aber überhaupt ins Denken und Träumen kommen, ohne uns davon im Handeln lähmen zu lassen. Denn, dass man sich eine Utopie im stillen Kämmerlein komplett zurecht schustern kann, ohne dass sie durch Aushandlungsprozesse immer wieder durch die Lebensrealitäten verschiedenster Menschen nachjustiert wird – überhaupt, dass man um Aushandlungsprozesse herumkommt – ist eine gefährliche und vereinzelnde Illusion. Und vom „wissen müssen“ entlastet zu sein, weil man es gar nicht wissen kann (also ohne das Denken komplett über Bord zu werfen versteht sich), hat doch auch was Schönes. Also zumindest für jene, die mehr am guten Leben für alle interessiert sind als an Macht. Für jedes System, das Letztere belohnt, gilt frei nach Bini Adamczak: „Nein, nein, das ist nicht der Kommunismus“.
Brat zeigt das Jahr 1997, mein Geburtsjahr. Manchmal vergesse ich wie sehr sich die Welt, die unsere Eltern aktiv und wir nur mit Kinderaugen erlebt haben, von der, in der wir heute gemeinsam leben, unterschieden hat. Wie sehr ihr Umgang mit einer anderen Welt unseren heutigen Umgang mit dieser beeinflusst, ohne jemals zur Sprache zu kommen. Wie bezeichnend für das sozialistische Leistungsprinzip, dass ich diesen Text gerade am Urlaubswochenende fertig stelle. Er ist zu lang, die Recherche zu weitgefasst, aus Angst etwas falsch zu verstehen, für Nicht-Perfektion verurteilt zu werden. Gegenüber von mir meine Mutter mit aufgeschlagenem Laptop. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, meine Arbeitsablehnung bei gleichzeitiger Selbstausbeutung im Bereich von Aktivismus, Beziehungen und Hobbies nur eine andere Auslebung derselben Ideologie. Mama ich glaube ich bin mit dem Text fertig, willst du ihn lesen? Nein.
<<
—
[1] Wobei das mit Sicherheit auch den Hintergrund hat, dass generell wenig gefragt wird. Wer fragt, macht sich verdächtig, ein unehrliches Ziel zu verfolgen. Jahrzehnte der Spitzelkultur haben was gemacht mit den Menschen.
[2] Erschwerend fällt eine Übersetzungsschwierigkeit auf. So heißt es im Russischen: „от каждого по его способности, каждому – по его труду“. Trud ist aber eben nicht gleich Leistung im Deutschen, womit es in der Verfassung der DDR übersetzt wurde, sondern Anstrengung. (Falls hier jemand mehr zu weiß – please reach out to me!)
[3] Mau, S. (2017): Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft.
[4] Lefebvre, H. (1974): Kritik des Alltagslebens
[5] Cheauré, E., Gimmel, J. & Rapp, K. (2021): Verordnete Arbeit – Gelenkte Freizeit. Muße in der Sowjetkultur?
[6] Kein Wunder, dass ich meinen Großeltern immer wieder erklären muss, dass Polit-Gruppen hier unabhängig von der Regierung Demos organisieren. „Ihr seid doch alle bezahlt“ hat immer noch einen faden Beigeschmack. Wenn man sich diese Lebensrealität aber vergegenwärtigt, weiß man auch woher es kommt und mit welchen Vorprägungen heutige Propaganda leider zu spielen weiß bzw. auf welchen Nährboden sie fällt.
[7] Ohne den Diskurs, den es um das Thema gibt, schmälern zu wollen.
Anna Koemets hat ihren Psychologie-Master für ihre Oma zu Ende studiert und ist jetzt stolze Studentin der Soziologie, um endlich ihrer eigentlichen Motivation nachzugehen. In bisherigen Essays verknüpfte sie psychologische Forschung mit soziologischer Theorie und viel, viel anekdotischer Evidenz im Bereich von Politik und Popkultur. Wiederkehrende Themen: Soziale Medien, die Problematik hinter Authentizitätsnormen, inkonsequente Friedensnarrative, oder Antisemitismus und Antislawismus in vermeintlich progressiven Räumen.