Familienbrüche Kapitalismus, Bilderreihe: Schnittstellen, Berlin 2004, Moritz Jost

Fotografie: Redaktion Ostjournal, Typografie: Iliyá Fogg.

Zivilgesellschaft

Licht an für Antifaschismus

Der Bedarf an unbürokratischer Förderung für die ostdeutsche Zivilgesellschaft wird weiter steigen.

von Netzwerk Polylux
Juni 2024

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Sachlich bleiben ist in diesen Tagen und Monaten nicht leicht. In den ostdeutschen Bundesländern wirft die faschistische AfD im Vorfeld der anstehenden Kommunal- und Landtagswahlen alles ins Rennen, was ihr hilft, die hohen Umfragewerte der vergangenen Jahre in Wählerstimmen und politischen Machtgewinn umzuwandeln. Ihre Allianz aus organisierten Neonazis, Corona-Leugnern, rechtsextremen Politikern und Schlägern attackiert und bedroht unverhohlen Menschen auf der Straße, im Netz und bei Veranstaltungen, nimmt Schwerverletzte und Tote in Kauf, ergötzt sich in Gewalt- und „Aufräumen“-Fantasien und inszeniert sich zeitgleich noch als Opfer von Ausschluss und „Meinungsdiktatur“.

Gelder werden gestrichen

Der Staat, der von der gesellschaftlichen Mitte zu Beginn des Jahres mit Massendemonstrationen dazu aufgerufen wurde, sie vor der hässlichen Fratze des Faschismus zu beschützen, reagiert mit der Prüfung von AfD-Verbotsverfahren und Geldstrafen. Ungeachtet dessen bringt er eine zunehmend rassistische Agenda durch das Parlament. Zugleich werden Kürzungen im Bundeshaushalt für Programme wie „Demokratie leben!“ nicht zurückgenommen, die Organisationen und Projekte bedrohen, die sich enorm prekär und immer von Angesicht zu Angesicht mit rechten Akteuren vor Ort zivilgesellschaftlich engagieren. Aktuell werden immerhin 840.000 Euro in einem Fonds „Vereint für Demokratie“ ausgeschüttet, der Vereine wie das Kulturbüro Sachsen oder den Colorido e.V. zumindest kurzfristig aus finanziellen Bedrohungslagen manövrieren soll. Das ist jedoch ein Minimum im Vergleich dazu, welche Gelder an anderen Stellen ausgegeben werden.

Druck und Repressalien

Parallel sind alternative Räume weiterhin hohem Druck ausgesetzt. So wurde kürzlich der „Kulturbahnhof“ im mecklenburg-vorpommerschen Anklam, seit Jahrzehnten Hochburg fester rechter Strukturen, geschlossen, weil konservative Akteure vor Ort beweisen müssen, dass sie die besseren Rechten sind. Beliebtes Mittel: Brandschutzauflagen, die verbunden sind mit hohem finanziellen Aufwand – sie brechen kleinen Initiativen das Kreuz. Und mit welchem Recht konservative CDU-Verbände das Wort „christdemokratisch“ noch im Namen tragen, wenn ihre Vertreter fordern, Flüchtlinge und Bürgergeldempfänger:innen für einen Hungerlohn zu Zwangsarbeit zu verpflichten? So geschehen im Januar im thüringischen Saale-Orla-Kreis. Hier wurde der AfD-Kandidat Thrum bei der Landratswahl nur dadurch ausgestochen, dass sich sein CDU-Kontrahent Herrgott trotz oder wegen solcher Positionen auch von Anhänger:innen anderer Parteien schließlich zum knappen Gewinner wählen ließ.

Zwei Beispiele von vielen – und das Ergebnis gezielter jahrzehntelanger politischer Vernachlässigung der demokratischen Zivilgesellschaft im Osten bei zeitgleichem Gewährenlassen organisierter Nazi-Strukturen auf der Straße oder in Parlamenten durch massive Rückendeckung in Behörden und Gremien. Stichworte: NSU, unaufgeklärte Polizeigewalt, Rechte Chat-Gruppen in Behörden, völkische Landnahme durch wachsende Anzahl von Gebäuden und Immobilien in den Händen von Nazikadern oder Reichsbürgern. Vor zwei Jahren warfen wir einen Blick in die Zukunft, die jetzt ist. „Was machen wir, wenn der Rechtsruck krasser wird?“ Eine rhetorische Frage. Wir versuchten damals im Interview mit Ostjournal zu beschreiben, welchen Herausforderungen Menschen ausgesetzt sind, die sich in ländlichen Regionen Ostdeutschlands für eine offene Gesellschaft einsetzen, in der Ausgrenzung und Gewalt keinen Platz haben. Diese Herausforderungen sind weiter gewachsen. Im vergangenen Jahr haben sich die Anfragen an das Netzwerk Polylux verdoppelt. Das Kriterium ist fast immer: Wir bekommen anderswo kein Geld.

Auf dem Land wird es schnell persönlich

Was in den urbanen Metropolen möglicherweise noch als common sense interpretiert werden kann, muss in der (ostdeutschen) Peripherie mitunter zu einem hohen Preis verteidigt werden. Die autoritären Fantasien nehmen zu. Anders als bei anonymeren Grossstadtdemos, kennt in der Kleinstadt oder auf dem Dorf jede:r jede:n. Die Bündnisse, die hier zum Teil geschlossen werden (müssen), sind in der Stadt selten vorstellbar. Man kann sich nicht aus dem Weg gehen, wer Position für eine Gemeinschaft bezieht, in der der Mensch, dessen Verschiedenheit und soziale Gerechtigkeit im Mittelpunkt stehen soll, steht dafür direkt mit Gesicht, Beruf und Angehörigen ein. Er ist den Autoritätsfanatikern und rechten Hetzern schutzlos ausgeliefert. Die nächste Opferberatung ist 150 Kilometer entfernt, die rechte Kneipe nur fünf. Offene Kinder- und Jugendangebote abseits der Freiwilligen Feuerwehr und dem Fußballverein, in dem nicht selten rechte Nachwuchsarbeit toleriert wird, erhalten keine Räume und auch keine langfristige finanzielle Absicherung. Begegnungscafés, Support für new comer, Nachbarschaftshilfe, sozialer Austausch – fast ausschließlich ehrenamtlich stemmen Wenige die Aufgaben, denen der Staat keine Priorität einräumt. Sie halten Räume aufrecht, die als „zu links“ oder „unkontrolliert“ abgelehnt werden und denen gegenüber der Kleingarten- oder Jagdverein als Hort der Ordnung und der gewünschten (weißen) Homogenität gilt.

Diesen Menschen und Gruppen helfen die inzwischen über 500 Fördermitglieder, deren Spendenbeiträge das Netzwerk Polylux nach transparenten Kriterien umverteilt. 1000 sollen es bis zu den Wahlen im September werden. Dafür fahren wir gerade viel für Vorträge und Veranstaltungen in den Westen, wo langsam ankommt, dass das ostdeutsche rechte Reallabor eine Bedrohung für die gesamte Gesellschaft darstellt. Unkompliziert und ohne Rechtfertigungszwang, aber in möglichst engem Kontakt und in beratender Funktion versuchen wir Empowerment und Sicherheit zu ermöglichen. Wie mit einem Polylux, der etwas Kleines vergrößert, ausleuchtet und an die Wand projiziert, wird damit ein anderes Hinterland, ein anderer, solidarischer, antifaschistischer und auch lebenswerter Osten sichtbar.

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Das Netzwerk Polylux unterstützt Vereine, Initiativen und Projekte der kritischen Zivilgesellschaft im ländlichen Osten vor Ort und finanziell. Die aktuelle Kampagne für Fördermitgliedschaften wendet sich an Menschen aus allen Himmelsrichtungen.

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