© Moritz Jost Schnittstellen, Fotografiert im Kollwitzkiez 2004
Familie und Stasi
Ein Versuch zu verstehen
In den letzten Jahren der DDR, also etwa zwischen 1984 und 1990, gehörte mein Vater zu den wichtigsten und einflussreichsten Personen innerhalb der als „Bürgerbewegung“ bezeichneten Opposition. 1992 schreibt Wolfgang Rüddenklau, ein damals ebenfalls wichtiger DDR-Oppositioneller, Anarchist und Mitbegründer der Zeitschrift telegraph im hier vorliegenden Artikel: „Von allen Spitzelenttarnungen der letzten zwei Jahre war Wolfgang Wolf der IMB `Max‘, für mich am niederschmetterndsten.“
Für mich als Wolfgang Wolfs Sohn, selbst ab 1987 in der DDR-Opposition aktiv, war diese Enthüllung die größte Enttäuschung in meinem Leben. Dass meine Mutter im Schlepptau meines Vaters auch bei dem Laden war, wundert mich gar nicht. Sie hat immer nur das gemacht, was mein Vater wollte.
Umso mehr enttäuscht mich bis heute, dass mein Vater in Gesprächen mit mir und selbst mit vorgehaltenen Stasiakten alles bis aufs Messer leugnete. Die daraus resultierenden, teils heftigen Streitereien zwischen uns und der folgerichtige Bruch zwischen uns konnte nie wieder richtig heilen, auch nicht nach jahrelanger Funkstille sowie seine temporäre Flucht durch Ausreise nach Malta.
Letztendlich ließ mich erst seine schwere Demenz mit ihm Frieden schließen, sein Tod 2012 tat sein Übriges. Bis heute fällt es mir schwer, seine Beweggründe nachzuvollziehen, und dabei auch nur sehr schwer diese zu verstehen.
Indem ich diesen Text nun zum x-ten Mal lese, versuche ich einmal mehr zu verstehen. Und zu verarbeiten.
Familie kann man sich nicht aussuchen …
von Dietmar Wolf
Dezember 2023
Dietmar Wolf, geb. 1964, lebt in Ostberlin. Er war seit 1987 aktiv in der DDR-Opposition, 1989 Mitbegründer der wichtigsten DDR Oppositionszeitschrift telegraph, Mitbegründer der ersten Ostberliner Antifa, in den 1990er Jahren Hausbesetzer und aktiv in antifaschistischen Gruppen. Er ist Mitarbeiter und Autor für diverse Bücher, Zeitschriften und Publikationen.