KGR, Gera 2021 Tshirts

© Benedikt Braun, „Nach dem Dritten Reichts“; Anke Stiller, „Wer in der Demokratie schläft…“, KUNST GEGEN RECHTS, Galerie Sorglos, Gera, 2021

Die Rechte in Bulgarien

Kleine Genealogie rechtsextremer Bewegungen und Parteien in Bulgarien

Weder der Staat noch NGOs thematisieren rechte Gewalt in Bulgarien. Dabei gewinnen rechte Parteien an Einfluss und knüpfen an Strukturen und Ideologien an, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Wer kann dem entgegentreten?

von Stefka Nikolov
März 2023

>>

Bulgarien, wie die meisten (ost-)europäischen Länder, ist ein „attraktives“ Terrain für die Entwicklung rechtsextremer Bewegungen und Organisationen. Das Land zählt zu den nach der Wende 1989 neu entstandenen Demokratien in Osteuropa. Seitdem wartet die Bevölkerung vergeblich auf den versprochenen Wohlstand, Reformen und Stärkung der mittleren und bürgerlichen Klassen. Stattdessen hat das Land mit einer hohen Inflation, Arbeitslosigkeit, Armut sowie demographischer und politischer Krisen zu kämpfen. Dazu kommt auch die rasante Entwicklung rechtsextremer Ideologien. Thematisiert wird das Thema Rechtsextremismus aber weder von staatlichen Institutionen noch von Parteien oder NGOs.

Deshalb versuche ich mit Hilfe dieser genealogischen Erzählung die Entstehungsformen, Kontinuitäten und „Vielfalt“ rechtsextremer Ideologien in der geschichtlichen Entwicklung Bulgariens aufzuzeigen und somit einen Aufruf an die Gesellschaft und Politik für mehr Resilienz gegenüber rechten Gedanken zu senden.

Die Wurzeln rechtsextremer Ideologien lassen sich bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Die ersten rechtsextremen Organisationen in Bulgarien entstanden nach der militärischen Kapitulation Bulgariens im Ersten Weltkrieg (1912-1914). Diese Zeit wurde von einer tiefen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Krise geprägt. Die rechtsextremen Bewegungen zu dieser Zeit kopierten Ideologien vom italienischen Faschismus. 1930 wurde der „Bund der Bulgarischen Nationalen Legionen“ von Studenten antikommunistischer und ultranationalistischer Gesinnung gegründet. Seit 1933 war General Hristo Lukov gleichzeitig Vorsitzender der Bewegung und Kriegsminister. Er pflegte „gute“ Beziehungen zu den deutschen Nationalsozialisten. Im Februar 1943 wurde Lukov von kommunistischen Partisanen vor seinem Wohnhaus in Sofia erschossen. Seit 2003 organisiert die ultraradikale Kleinstpartei „Bulgarische Nationale Union“ (Български Национален Съюз) jedes Jahr zum Todestag des bulgarischen „Nazi-Generals“ den sogenannten Lukov-Marsch, bei dem Neonazis aus ganz Europa in die Hauptstadt Sofia reisen.

Vor und während dem Zweiten Weltkrieg hat das Königreich Bulgarien (1908-1945) als Verbündeter Nazi-Deutschlands den Weg für die Entstehung rechtsextremer Organisationen nach nationalsozialistischem Bild freigemacht, obwohl das damalige politische System des Landes keine totalitären Strukturen hatte und der „Bund der Bulgarischen Nationalen Legionen“ seit 1939 als Organisation verboten war. Das Königreich hat als Verbündeter die antijüdischen Gesetze Deutschlands übernommen und durchgesetzt. 1941 wurde das „Gesetz zur Verteidigung der Nation“ verabschiedet. Dazu gehörte auch das Tragen des Gelben Sterns. 11.000 jüdisch-stämmige Bulgar:innen (aus den Gebieten Mazedonien, Südostserbien und Trakien) wurden in die Konzentrationslager Auschwitz und Treblinka deportiert.  Etwa 50.000 bulgarische Juden und Jüdinnen konnten durch den Einsatz des bulgarischen König Boris III., der bulgarischen Kirchen, Politiker:innen und Intellektuellen gerettet werden, indem sie im ländlichen Raum versteckt wurden. Zwar wurde Boris III. nach Deutschland zitiert, verweigerte aber weiterhin die Auslieferung der Juden und Jüdinnen. 1942 wurde mit „Hilfe“ des nationalsozialistischen Deutschland ein bulgarisches „Kommissariat für jüdische Angelegenheiten“ gegründet, das in enger Abstimmung und Kooperation mit der deutschen SS-Gesandtschaft in Sofia die Umsetzung der antijüdischen Gesetzte beobachtete.  

Nach dem Zweiten Weltkrieg – eine repressive Minderheitenpolitik

In der Zeit zwischen 1945 und 1989 wurde in Bulgarien, wie in den meisten osteuropäischen Ländern, ein kommunistisches Regime sowjetischer Art errichtet, unter dem es keinen politischen Pluralismus und dementsprechend keine rechtsextremen Organisationen gab.

Trotzdem verübte das Regime in Sofia Diskriminierungs- und Unterdrückungspraktiken gegenüber Minderheiten (Rom:nja, Juden und Jüdinnen, Pomak:innen, Türk:innen) und Kritiker:innen des Regimes. Die repressive Minderheitenpolitik (eingeschränkter Zugang zu Bildung, Beruf, Arbeit, Eigentum und zu Teilhabe am politischen Leben) der Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP) bleibt bis heute in juristischer und historischer Hinsicht ohne Folgen für die Verantwortlichen. Die angewandten (extrem-)nationalistischen Praktiken in der bulgarischen Minderheitenpolitik haben anstatt zur „Überwindung“ der ethnischen Unterschiede zu mehr Spannungen und Verlust des Vertrauens gegenüber dem Regime geführt.

Assimilation ethnischer Minderheiten

Die Aktion „Wiedergeburt“ begann 1984 und wurde der Bevölkerung als eine Art „freiwillige Rückkehr“ zu den bulgarischen Wurzeln vorgestellt. Die muslimischen Minderheiten im Land wurden von dem kommunistischen Regime gezwungen, ihre türkisch klingenden Namen ins Bulgarische zu ändern. Viele Menschen verließen in den folgenden Jahren das Land, der größte Teil wurde aber in diesen Assimilierungsprozess hineingezwungen. Es fanden viele Proteste statt, die von der Regierung bis 1989 geheim gehalten wurden. Diejenigen, die ihre Namen nicht „freiwillig“ ändern wollten, mussten das Land verlassen. In Bezug auf die Assimilierung und Unterdrückung ethnischer Minderheiten begannen im Mai 1989 Massenproteste. Um sie einzudämmen, war der ganze politische Apparat, von der Armee über Polizei bis zur Feuerwehr und Staatssicherheit, im Einsatz. In einigen Grenzregionen wie Isperich und Todor Ikonomowo fanden gewalttätige Auseinandersetzungen statt, die Tote und viele Verletzte zur Folge hatten. Am Ende des kommunistischen Regimes waren es über 300.000 Türk:innen, die vor der zwangsweisen Assimilierung geflohen sind.

Nach der Wende 1989

Nach der Wende 1989 begann der Übergang zum demokratischen und politischen Pluralismus im Land und somit die Entstehung von rechtsextremen Parteien und Organisationen. Die erste von ihnen ist das „Bulgarische Demokratische Forum“ (БДФ), Nachfolger des oben genannten „Bund der bulgarischen Nationallegionen“. Die Bewegung mit ultranationalistischen und antisemitischen Ideologien entstand in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen.

Die parlamentarische Vertretung der Rechtsextremen beginnt 2005 bis 2017 mit der Entstehung der Partei „Angriff“ (АТАКА) mit einer starken antisemitischen, rassistischen und antiziganistischen Ausrichtung.  Weitere Vertretung finden die ultranationalistischen und populistischen Kreise in der Partei WMRO-Bulgarische Nationale Bewegung (ВМРО –БНД). Die Programmatik auch dieser Parteien wendet sich stark gegen Rom:nja, türkisch stämmige Minderheiten und Geflüchtete. Die Jugendorganisation von VMRO gehört zu den Initiatoren des „Lukov-Marsch“.

Aktuell zeigen alle rechtsextremen Bewegungen und Parteien in Bulgarien folgende ideologische Charakteristiken auf:

  • Extreme Formen von kulturellem Konservatismus (z.B. Nichtakzeptanz von Homosexualität): Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität; gesellschaftliche Vorurteile bis zur Gewalt gegenüber LGBTQI+-Personen.
  • Rassismus: Mitglieder rechtsextremer nationalistischer Parteien verwenden Hassreden unter anderem gegen Rom:nja, ethnische Türk:innen, Juden und Jüdinnen, Muslim:innen, Migrant:innen und Geflüchtete. Ethnische Minderheiten, wie die Rom:nja, werden in den Bereichen Beschäftigung, Gesundheit, Bildung und Wohnen diskriminiert, obwohl die Regierung und Nichtregierungsorganisationen eine Reihe von Programmen zur Verbesserung ihrer sozialen Integration durchführen. Migrant:innen und Asylsuchende werden sehr oft von bulgarischen Behörden unmenschlich behandelt, in manchen Fällen kommt es sogar zu Misshandlungen wie Schlägen und Erpressung (Bulgaria Country Report 2022, Freedom House).

Andere rechtsextreme Ideologien:

  • Ablehnung des liberalen Individualismus, sowie antikapitalistische Rhetorik;
  • Populismus basierend auf dem Gegensatz zwischen „Eliten und Volk“;

Sehr oft werden unterschiedliche rechtsextreme Gedanken miteinander verwoben. Wie zum Beispiel im politischen Programm der von Kostadin Kostadinow 2014 gegründete nationalistischen Partei „Wiedergeburt“, die seit 2021 im bulgarischen Parlament repräsentiert ist.

Zu nennen ist auch die populistische Partei „So ein Volk gibt es“ (Има такъв народ) des Entertainers Slawi Trifonow, der zwanzig Jahre lang eine Late-Night-Schow moderierte und im ganzen Land seine sogenannten „Pop-F(V)olk“-Konzerte veranstaltete. Der Sänger, Fernsehmoderator und Corona-Kritiker Trifonow präsentiert seine Bewegung als eine „Anti-Establishment-Partei“, die das Land von einer parlamentarischen in einer präsidentiellen Republik führen soll. Einige seiner populistischen und utopischen Wahlversprechen waren:

  • Bulgarische Astronaut:innen ins Weltall zu schicken
  • Antrag auf Mitgliedschaft Bulgariens in die Europäische Weltraumorganisation ESA

Dazu kommt noch die neu gegründete rechtspopulistische Partei „Bulgarischer Aufstieg“ (Български възход), die es sogar letztes Jahr im Oktober 2022 ins Parlament schaffte.

Bulgarien – zwei Jahre lang ohne Regierung

Am 4. April werden in Bulgarien die fünften Parlamentswahlen (innerhalb von zwei Jahren) durchgeführt. Historisch gesehen, ist es die längste Zeit politischer Instabilität seit 1989, in der die extremen nationalistischen Parteien und Bewegungen immer mehr an Macht gewinnen und die Gesellschaft spalten. Trotzdem hat sich in Bulgarien eine wachsame und aufgeklärte Zivilgesellschaft gebildet, die immer wieder als Mahnerin und Korrektiv  von Missständen in die Öffentlichkeit tritt, zugleich aber einer besonderen Unterstützung bedarf. Politische Stiftungen, ausländische NGOs, Warnungen, Berichte und Analysen europäischer Forschungsinstitute leisten ihren Beitrag dazu. Die größte Aufgabe liegt aber in der Zivilgesellschaft, die am besten die Entwicklungsprozesse im Land kritisch beobachten und steuern kann.

Dabei geht es nicht nur um Bulgarien, sondern um die Zukunft Europas und der Europäischen Union. Rechtsextreme Parteien sind in fast allen nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten der EU vertreten und sie steigern nicht nur ihre Wahlergebnisse, sondern verändern die demokratischen Strukturen der Länder. Darum sollten wir alle wach bleiben und uns aktiv einbringen!

 

<<

Stefka Nikolov ist in Bulgarien geboren und aufgewachsen. Seit 2005 lebt sie in Augsburg, wo sie auch Politikwissenschaft, Soziologie, Europäische Ethnologie und Betriebswirtschaftslehre studierte. Sie promoviert über Politische Theorie und Ideengeschichte und arbeitet seit 2015 im Bereich der (Arbeits-)Integration. Außerdem engagiert sie sich in mehreren Vereinen für die Unterstützung von Migrant:innen.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner