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© Ausstellungsansicht KUNST GEGEN RECHTS, Galerie Sorglos, Gera, 2021

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Gedenken an die Waffen SS in Lettland – Der Friedhof Lestene

In Lettland werden auf einem Friedhof bei Lestene Soldaten der Waffen SS geehrt, obwohl diese an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Währenddessen wurde in Riga das sowjetische Ehrenmal für die Befreiung vom Faschismus abgerissen.

Text: Hardy Krüger
Bilder: © Presseservice Rathenow
März 2023

 

 

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Ein schmaler asphaltierter Weg führt durch die kurländische Kulturlandschaft, vorbei an kleinen Waldstücken und bestellten Ackerflächen, zur kleinen Gemeinde Lestene. Das ehemalige deutsche Rittergut aus dem 16. Jahrhundert ist ein eher kleiner verschlafener Ort, in welchem etwa Dreihundert Menschen leben. Überregional ist die Siedlung aber vor allem wegen eines großen Soldatenfriedhofes am Ortseingang ein Begriff. Dort wurden nämlich sogenannte Legionäre, Angehörige lettischer SS Einheiten des nationalsozialistischen Besatzungsregimes während des Zweiten Weltkrieges, bestattet.

Nationaler Gedenkort

Ein erster Soldatenfriedhof existierte in Lestene bereits seit November 1944 und war zunächst ein Ruheort für Zeihundert, in der zweiten Kurlandschlacht gefallene Angehörige der 15. SS-Waffen Grenadier Division (lettische Nr. 1). Die Friedhofsanlage in ihrer heutigen Form entstand jedoch erst einige Jahre nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Lettlands, in den Jahren 1996 bis 2000.

Geschaffen wurde damals ein Monumentalensemble für alle Angehörigen der lettischen SS Verbände. Heute sind dort etwa 1.000 Legionäre bestattet.

Die Friedhofsanlage besteht aus Gedenktafeln, Gräberfeld und einer Mutter-Heimat-Statue. Das Ganze wurde zudem mit einer massiven Mauer aus Granitsteinen eingefriedet. Der Zugang zum Gelände führt durch ein schweres Eisentor, in welchem mehrere Sig-Runen-ähnliche Streben sowie die Ärmelabzeichen der lettischen SS Divisionen eingefasst sind.

Die Finanzierung des Projektes erfolgte auf Spendenbasis, mit Unterstützung der lettischen Regierung und unter Einbeziehung namhafter lettischer Kunstschaffender, wie dem Architekten Edvīns Vecumnieks und der Bildhauerin Arta Dumpe.

Die offizielle Einweihung des neugestalteten Friedhofs fand am 27. September 2003 unter dem Beisein von etwa 5.000 Menschen, darunter Kulturministerin Inguna Ribena und mehreren Parlamentsangeordneten, statt. Die Einweihungszeremonie wurde sogar live im Fernsehen übertragen.

Antisowjetischer Mythos

Während der Zeremonie wandte sich Jānis Vanags, Erzbischoff der evangelisch-lutherischen Kirche Lettlands, an die Anwesenden und meinte, dass die lettische Waffen-SS „mit dem Gewehr in der Hand“ versucht habe „den Einfluss der sowjetischen Truppen zu stoppen“.

Lettland war 1940 kampflos von sowjetischen Truppen besetzt und später in die Sowjetunion eingegliedert worden. Der Verlust der Unabhängigkeit wurde begleitet durch stalinistische Deportationen und führte zu einem nationalen Trauma.

Nach dem Angriff Nazideutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941, wurden die neuen Aggressoren deshalb von einigen Menschen in Lettland als vermeintliche Befreier angesehen. Die Nazis trugen jedoch tatsächlich eine erhebliche Mitverantwortung an der Zerstörung der lettischen Unabhängigkeit. Denn gemäß einer erst nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt gewordenen Zusatzvereinbarung im Rahmen des Deutsch-Sowjetischen-Nichtangriffsvertrages aus dem Jahr 1939, dem „Hitler-Stalin-Pakt“, wurden die baltischen Staaten, also auch Lettland, explizit der sowjetischen Einflusssphäre zugesprochen.

Einbindung ins Mordsystem der Nazis

Aufgrund des für sie günstigen Status als vermeintliche Befreier begannen die Nazis, nach den erheblichen militärischen Verlusten Deutschlands, auch in Lettland Rekruten für den Dienst in der Waffen SS anzuwerben. Manche entschieden sich freiwillig für den Dienst in der verbrecherischen Organisation, manche wurden zwangsrekrutiert.

Einige waren wiederum auch schon zuvor in den Diensten der Nazis, zum Beispiel als Angehörige lettischer Strafkommandos des Sicherheitsdienstes der SS. Diese Kommandos führten bereits 1941 und 1943 etliche Massenmorde an der Zivilbevölkerung in Lettland, Belarus und Russland aus.

Das Morden im Dienste der Nazis setzte sich nach Aufstellung der beiden lettischen Waffen SS Divisionen weiter fort. Am 2. Februar 1945 verbrannten zum Beispiel Angehörige der 15. SS Waffen-Grenadier-Division in Podgaje (Polen) 32 mit Stacheldraht gefesselte Soldaten der polnischen Armee.

Abriss des Sowjetehrenmals

Dennoch wird in Lettland weitgehend am bisherigen Geschichtsnarrativ festgehalten. Während die Ehrung der lettischen SS mit Blick auf das Ansehen im Ausland nur punktuell, zum Beispiel beim Zeigen von Hakenkreuzen bei Veranstaltungen und eher widerwillig sanktioniert wird, gibt es nach dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine im Frühjahr 2022 einen deutlichen Parlamentsbeschluss, welcher auf die Verbannung sowjetischer Symbolik abzielt.

Davon sind auch in der Zeit der Sowjetunion errichtete Denkmäler, wie das ebenfalls von Edvīns Vecumnieks geschaffene Siegesdenkmal in Riga, an welchem jährlich zum 8./9. Mai an den Sieg über Nazideutschland 1945 erinnert wurde, betroffen. In fataler Weise werden dadurch Narrative des russischen Präsidenten von der angeblichen Wiedererrichtung der Sowjetunion unter seiner Führung bis zur vermeintlichen Entnazifizierung der Ukraine dankbar angenommen und mit Blick auf die eigene lettische Geschichtserzählung bereitwillig Antifaschismus mit Okkupation gleichgesetzt.

Die Stadt Riga ließ das 1985 zum 40. Jahrestag des Sieges über den Faschismus fertiggestellte Denkmal im Sommer 2022 abreißen.

© 2023, Presseservice Rathenow, SS Friedhof in Lestene

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© 2023, Presseservice Rathenow, SS Friedhof in Lestene

Hardy Krüger ist seit 2012 als freier Journalist tätig. Seine Artikel behandeln vor allem gesellschaftspolitische Themen und sind hauptsächlich in einem Onlineformat der Wochenzeitung „Die Zeit“ zu finden. Als Fotojournalist gibt er darüber hinaus sozialen Bewegungen ein Gesicht. Etliche Reiseaufenthalte und viele persönliche Kontakte haben aus ihm außerdem einen Kenner des  postsowjetischen Raumes gemacht.

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